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Monika Hey · Mein gläserner Bauch
27. April 2013
Monika Hey
Mein gläserner Bauch
Wie die Pränataldiagnostik unser Verhältnis zum Leben verändert
gebunden, 224 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
ISBN-10: 3421045380
ISBN-13: 978-3421045386
€ 19,99
Da schreibt eine Abtreibungsbefürworterin mehr als ein Jahrzehnt nach der Abtreibung ihres behinderten Kindes ein Buch. Das Trauma hat sie trotz des großen zeitlichen Abstandes offensichtlich nicht bewältigen können. Trotzdem will sie das, was sie als »das mühsam erkämpfte Recht auf Abtreibung« bezeichnet, nach wie vor nicht in Frage stellen. Schreibt sie wirklich für den Leser? Schreibt sie nicht eher zur Selbsttherapie, zur Selbstentschuldigung? Kann unter solchen Voraussetzungen ein brauchbares Buch entstehen?
Tatsächlich ist der Informationswert von Monika Heys Buch zur vorgeburtlichen Diagnostik gerade wegen ihres persönlichen Zugangs nicht zu unterschätzen. Wie eine Schwangere vom Räderwerk der Medizin erfaßt, durch die Mühlen des Gesundheitswesens gedreht und schließlich von der Maschinerie, die ihr Kind das Leben kostet, als Versehrte wieder ausgeworfen wird, konnte wohl nur eine Betroffene beschreiben. Und obwohl sie selbst daran nicht soweit reift, daß sie Abtreibungen prinzipiell hinterfragt, lehnt sie doch den gesellschaftlichen Druck zur vorgeburtlichen Selektion behinderter Kinder ab — immerhin.
Schlagworte wie »Vorsorge bedeutet Sicherheit für Ihr Kind« ködern werdende Eltern in der Frühphase einer Schwangerschaft, in vorgeburtliche Untersuchungen einzuwilligen, die über die reguläre Schwangerschaftsvorsorge hinausgehen. Sicherheit für sein Kind — wer will das nicht? Tatsächlich geht es hier aber zuallerletzt um die Sicherheit des Kindes. Denn es gibt zwar inzwischen ein großes Instrumentarium zur pränatalen Diagnostik, aber fast keine Praxis vorgeburtlicher Therapie. Die Diagnose hat also im Regelfall gar nicht die Heilbehandlung für das Kind zum Ziel, sondern seine Abtreibung. Außerdem bringen einige der vorgeburtlichen Untersuchungsmethoden selbst ein erhebliches Risiko für eine Fehlgeburt mit sich, auch dann, wenn Mutter und Kind bis dahin völlig gesund waren. Die Chorionzottenbiopsie zum Beispiel kostet bis zu vier Prozent der Kinder das Leben, was aber in Kauf genommen wird, um behinderte Kinder »herauszufiltern«. Theoretisch ist es zwar seit Abschaffung der sogenannten embryopathischen Indikation 1995 in Deutschland verboten, ein Kind wegen seiner Behinderung zu töten. Der Gesetzgeber hat aber gleichzeitig ein Hintertürchen geöffnet, das sich im Nachhinein als großes Scheunentor erwiesen hat. So werden Behinderte nicht mehr wegen ihrer Behinderung abgetrieben, sondern »um die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden«. Und diese Gefahr wird bei der Möglichkeit einer Behinderung des Kindes geradezu automatisch vorausgesetzt, wie die Autorin erfahren mußte. Ist erst einmal eine Behinderung diagnostiziert, werden Optionen jenseits einer Abtreibung oft gar nicht mehr erwogen.
Dabei ist es nicht erstaunlich, daß Ärzte geradezu zu einer Abtreibung drängen, müssen sie doch fürchten, im Falle der Geburt eines behinderten Kindes für dessen Unterhaltskosten in Anspruch genommen zu werden. Denn ein Arzt, welcher der Schwangeren die Perspektive des Lebens mit einem behinderten Kind nicht in den schwärzesten Farben ausmalt, kann möglicherweise wegen Verletzung seiner Beratungspflicht belangt werden. Überhaupt: wirtschaftliche Erwägungen spielen in der Pränataldiagnostik eine große Rolle. Und so werden heute zum Beispiel 95 Prozent aller Kinder mit Down-Syndrom abgetrieben. Die Abschaffung der embryopathischen Indikation hat an dieser Praxis nicht das geringste geändert, nur die Formulare sind andere geworden.
Monika Hey fühlte sich in dieser existentiellsten Krise ihres Lebens alleingelassen, falsch beraten, manipuliert, bedrängt. Buchstäblich am eigenen Leibe hat sie erfahren, daß eine Frau in dieser Ausnahmesituation mit den Entscheidungen, die ihr aufgedrängt werden, hoffnungslos überfordert sein kann. Die feministische Ideologie, die das Überleben des Kindes als »alleinige Entscheidung der Frau« postuliert, mag sie trotzdem nicht in Zweifel ziehen, obwohl gerade ihr Erleben exemplarisch zeigt, wie lebensfremd dieser Anspruch ist.
Auch wenn die Intention des Buches also streckenweise fragwürdig erscheint, bietet es werdenden Eltern doch einen umfassenden Überblick über die derzeitigen Methoden vorgeburtlicher Untersuchungen, deren Zielsetzungen und Risiken. Das Buch lehrt, daß Eltern am besten schon vor dem ersten Arztbesuch wissen sollten, auf welche Diagnose- und Behandlungsmethoden sie sich einlassen wollen — und auf welche keinesfalls. Wer sich hier rechtzeitig informiert, wer weiß, daß er möglicherweise manipulativem Druck ausgesetzt sein wird, kann Untersuchungen, die dem Kindeswohl nicht dienen, vorbereitet und gelassen widersprechen.
Photo: © Geier