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Der Duden wird sich selb’st peinli’ch.
6. Februar 2009
Nachdem die Wörterbuchverlage die sog. »Rechtschreibreform« in unsäglicher Weise befördert haben (das war ja die Jahrhundert-gelegenheit, den Umsatz außer der Reihe anzukurbeln), scheint man nun langsam mitzubekommen, was man da (mit) angerichtet hat. So hat uns ja die »Reform« die Legalisierung des vorher im Deutschen strikt verpönten »Deppenapostrophen« eingebracht, also der Absperrung des Genitiv-s durch einen Apostrophen, die zwar im Englischen legitim ist, im Deutschen jedoch nicht. Schon in vorreformerischer Zeit war diese Unsitte virulent; die »Reform« hat schließlich alle Dämme niedergerissen. Seitdem wimmelt es nur so von Heidi’s Lädchen, Didi’s Kneipe und ähnlichen Sprachunfällen, wobei man fast noch froh sein muß, wenn wenigstens ordentliche Apostrophe (’) falsch verwendet werden und nicht auch noch Minutenzeichen (') oder Akzente (´) (`).
Die Apostrophitis hat aber längst eine ungeahnte Eigendynamik entwickelt: Nicht nur das Genitiv-s wird vom Wort wegapostrophiert, längst hat es auch das Plural-s erwischt. So sieht man längst auch Büro’s, Steak’s, Pizza’s, Info’s und so weiter. Aber auch da ist die Abwärtsentwicklung nicht stehengeblieben: Nächster logischer Schritt ist die Apostrophierung anderer Plural-Endungen: Es wurden schon Ampel’n und Nudel’n gesichtet. Aber man kann den Wahnsinn weiter steigern, nämlich durch willkürliche Apostrophierung beliebiger Buchstaben, die das Pech haben, am Ende eines Wortes oder auch nur irgendwo in der Nähe des Endes zu stehen: Nacht’s, bei’m, braungetiger’ter Kater, nicht’s, stet’s, Bauer’nhof und last but not least: Hand’y. Und keines der vorstehenden Beispiele ist erfunden, alle sind mitten aus dem wirklichen Leben gegriffen — großes Pionierehrenwort*.
Das wird nun selbst dem Dud’en … äh … dem Duden natürlich, der das Desaster schließlich mit angerichtet hat, zu bunt. In ihrem neuesten »Newsletter« (ja tatsächlich, nicht einmal der Duden hat sich die Mühe gemacht, für das Ding einen deutschen Begriff zu finden) motzt die Duden-Sprachberatung nun:
Bei Großmutter’s Apfelkuchen würde sich der Großmutter wahrscheinlich der Magen umdrehen — nicht wegen des Geschmacks, sondern wegen der Rechtschreibung. Und würde der Erfinder des epischen Theaters sich wohl wiedererkennen in der Ankündigung von Brecht’s Dreigroschenoper? Zur Kennzeichnung des Genitivs genügt nämlich das angehängte -s allein — ganz ohne Apostroph: Annas Traum, Großvaters Briefmarkensammlung usw. Mit einer Ausnahme: Beim Genitiv von Namen, die auf s, ss, ß, tz, z, x enden und keinen Artikel o. Ä. haben: Grass’ neuer Roman, Ringelnatz’ Gedichte oder Klaus’ Frittenschmiede. In diesen Fällen steht der Apostroph für das weggefallene Genitiv-s. Man kann sich also für den Genitiv merken: entweder mit -s oder mit Apostroph, aber nicht mit beidem auf einmal.
So weit, so gut. Aber da war doch noch was: Ach ja, der Duden selbst erlaubt ja neuerdings den Deppen-Apostrophen. Aber offensichtlich doch auch wieder nicht von ganzem Herzen:
Nun lässt sich einwenden: Aber Willi’s Würstchenbude und Andrea’s Blumenecke stehen doch sogar im Duden. Stimmt! Zur Verdeutlichung der Grundform ist diese Ausnahme von der Regel beim Genitiv möglich — aber nur bei Personennamen und nur, wenn’s denn unbedingt sein soll.
Schon klar: Wenn es denn unbedingt sein soll, kann man Banane auch mal mit X schreiben. Nur ausnahmsweise. Und nur mit einem.
Der substantielle Fehler des Dudens besteht eben darin, daß er die deutsche Rechtschreibung nie codifiziert hat, sondern lediglich den Sprachgebrauch beobachtet und nachvollzieht. Das heißt: Wird ein Fehler nur oft genug gemacht, steht er irgendwann als richtig im Duden (und das ist auch der grundsätzliche Unterschied zwischen Duden und Bibel, um hier mal wenigstens noch eine halbe Unze geistlichen Anspruchs in diesem Artikel unterzubringen). So kann man schon unken, wann denn das knatschfalsche »vorraus«, das gegenwärtig das Netz flutet, als richtig im Duden steht. Demokratisch ist die Sache schon entschieden: Google findet das falsche »vorraus« immerhin schon ca. 700.000 mal.
Übrigens: Daß der Deppostroph im Volksmund gelegentlich als »Sächsischer Genitiv« bezeichnet wird, hat nichts damit zu tun, daß die Sachsen ihn öfter gebrauchen würden als andere Landsmannschaften. Dies kommt vielmehr vom »angelsächsischen«, mithin englischen Genitiv, der die Apostrophierung des Genitiv-s ja zwingend vorschreibt.
Bleiben Sie, sehr geehrte Leser, dem Geier weiterhin gewogen — un’d fiel’en Dank im forrau’s.
* Wer dem Pionierehrenwort keinen Glauben schenkt, findet unter http://www.deppenapostroph.de
ein knappes Dutzend Links, die zu den »schönsten« Deppostrophensammlungen führen. Dort wird er neben den citierten noch viele andere Absurditäten finden.
Abbildung: »Deppen-Apostroph«, tiefergelegt. © Geier