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Selbstliebe — Tugend oder Irrweg?


By Geier - Posted on 22 Juli 2009

22. Juli 2009

 

Dies aber wisse, daß in den letzten Tagen wilde Fristen sein werden. Denn die Menschen werden Selbstliebende sein, Silberbefreundete, Hochmütige, Übererscheinende, Lästerer, den Eltern Unfügsame, Gnadelose, Huldlose, Unspendende, Durcheinanderwerfer, Haltlose, Unzahme, keine Freunde des Guten, Verräter, Voreilige, Dünkelhaftgemachtwordene, Genußfreunde viel mehr als Gottesfreunde …. (2. Tim. 3, 1ff)

Ist Selbstliebe eine geistliche Tugend? Es ist oft behauptet worden, daß gemäß 3. M. 19, 18 jemand, der sich selbst nicht liebt, auch seinen Nächsten und Gott nicht lieben könne. Es ist aber jüdischerseits (z. B. Buber/Rosenzweig) oft darauf hingewiesen worden, daß die luthersche Übersetzung »liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst«, wenn sie überhaupt richtig ist, maximal einen Teil des Bedeutungsspektrums wiedergibt. Eine richtige, wenn nicht gar die richtige Übersetzung von וְאָהַבְתָּ לְרֵעֲךָ כָּמֹוךָ ist: »Liebe Deinen Nächsten, (denn) er ist wie Du.« Diese Aussage korrespondiert dann z. B. auch mit Röm. 2, 1, wo wir lesen: »Deshalb bist du nicht zu entschuldigen, o Mensch, der da richtet; denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst; denn du, der du richtest, tust dasselbe.«
Die Schrift erklärt dem Lesenden hier, daß sein Nächster ist wie er selbst, weswegen er Verständnis für seine Schwäche aufbringen und ihn nicht verachten muß, sondern lieben kann.

Wer sich selbst liebt, sucht nach menschlicher Anerkennung und Bestätigung. So wie Menschenfurcht ein Fallstrick ist (Spr. 29, 25) gilt dies auch für Menschenehre. Menschliche Anerkennung ist wie eine Droge; sie läßt kurzfristig alle Probleme vergessen, löst sie aber nicht, und es gibt nicht wenige, die durch diese Droge in »Beschaffungskriminalität« verwickelt wurden und buchstäblich alles tun würden für Anerkennung durch andere Menschen.
Die Schrift aber lehrt:
(Röm. 7, 18): »Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt.«

Paulus gebraucht hier das »Ich« und den Begriff »Fleisch« synonym.
Der geistlich gesinnte Mensch muß sich also entscheiden, ob er sich selbst, (also Adam bzw. das Fleisch) liebt, oder den Christos. Beides ist nicht möglich.

Das Streben nach menschlicher Anerkennung, ja schon das bloße Annehmen derselben, zerstört unseren Glauben (Joh. 5, 44).

In Joh. 3, 30 lesen wir: »Jener (Christos) muß wachsen, ich aber muß geringer gemacht werden.«
Hier nimmt Johannes schon den Kern des Evangeliums vorweg. Vielen wird dies nicht in der gebotenen Deutlichkeit erklärt: »Komm zu Jesus, er nimmt Dich an wie Du bist und löst alle Deine Probleme« ist eben nicht das volle Evangelium, recht eigentlich ist das sogar ein humanistisches Pseudo-Evangelium, auch wenn viele Christen unzweifelhaft der Meinung sind, daß der Satz »Jesus nimmt Dich so an, wie Du bist« irgendwo in der Bibel stehen müsse, so oft haben sie ihn schon gehört oder gesungen. Verpflichtung eines Evangelisten wäre, den Leuten zu sagen, daß Gott gar nichts annehmen kann, was gemäß Adam ist, weil dies alles dem Tod verfallen ist. Angenommen wird nur der Christos selbst. Die Gute Nachricht ist nun, daß wir in Christos hineinkommen können und dadurch mit ihm zusammen angenommen werden. Das bedeutet, daß wir den Menschen gemäß Adam schon jetzt in den Tod geben dürfen, was ja wesentlich schonender und verträglicher ist, als wenn wir dies erst nach dem natürlichen Tod erleiden müßten. Aber sterben muß der Adam — so oder so — denn nichts, was die Natur des Fleisches hat, kann in der künftigen Welt Platz finden. Werden diese Zusammenhänge in der evangelistischen Verkündigung unterschlagen (vielleicht, weil man meint, so »erfolgreicher« zu sein) hat man vielleicht vordergründig höhere Bekehrungszahlen, bewirkt aber, daß Menschen, die an ihrem alten Wesen festhalten, jahrelang leiden. Die Selbstliebe hält uns davon ab, das Fleisch in den Tod zu geben, so daß wir den milden Weg verfehlen und uns selbst Schmerzen zufügen. Aber solche Menschen leiden ja nicht nur, sie verstopfen die Gemeinden, sie bezeichnen sich selbst als Christen, da sie sich ja »bekehrt« haben, waren aber eigentlich nie bereit, ihr »Ich«, ihr Eigenleben, in den Tod zu geben. So tragen sie ihre humanistische Gesinnung in die Gemeinden, womit sie andere verführen, schwächen und ausbremsen.

Paulus schreibt:
»Deswegen ist die Gesinnung des Fleisches Feindschaft gegen Gott, weil sie sich dem Gesetz Gottes nicht unterordnet; denn sie kann es auch nicht.« (Röm 8, 7)
Wer sich nicht lösen will von seiner adamitischen Natur, weil er meint, sich selbst lieben zu müssen, kultiviert diese Feindschaft gegen Gott.
Dehalb gilt:
»Denn wer seine Seele retten will, wird sie verlieren; wer aber seine Seele meinetwegen verliert, wird sie finden.« (Mt. 16, 25)

Dazu fällt mir ein Citat von A. W. Tozer ein, das den Gehalt dieses Artikels sehr gut auf wenige Zeilen zusammenfaßt: 

»Christus ruft die Menschen auf, ein Kreuz zu tragen; wir rufen sie dazu auf, in seinem Namen Spaß zu haben. Er beruft sie, die Welt aufzugeben; wir versichern ihnen, daß sie nur Jesus aufzunehmen brauchen und daß dann die Welt ihnen gehört. Er ruft sie auf zu leiden; wir fordern sie auf, alle bürgerlichen Bequemlichkeiten zu genießen, die die moderne Zivilisation zu bieten hat. Er beruft sie zu Selbstverleugnung und zum Tod und wir fordern sie zu Selbstverwirklichung auf. Er fordert sie zur Heiligkeit auf; wir verkünden ein billiges und glitzerndes Glück, das selbst von den geringsten der stoischen Philosophen verächtlich zurückgewiesen worden wäre.«

 

In Offb. 12, 11 finden diejenigen Anerkennung, die ihr Selbst nicht lieben, sondern bereitwillig in den Tod geben und dadurch zu Überwindern werden: »Durch das Blut des Lämmleins und durch das Wort ihres Zeugnisses überwanden sie ihn, auch liebten sie ihre Seele nicht — bis zum Tod.«

Wie nun ist in diesem Zusammenhang Eph. 5, 28f zu verstehen? »Also schulden auch die Männer, die Weiber ihrer selbst zu lieben, wie auch die Kinder ihrer selbst. Der das Weib seiner selbst liebende liebt sich selber. Denn nicht einer haßt irgendwann sein Fleisch, sondern er ernährt und hegt es, so, wie auch der Christos die Herausgerufene[G]
Liest sich das nicht auf den ersten Blick wie eine Einladung zur Selbstliebe? Da die Schrift sich nicht selbst widerspricht, darf dies nicht etwa in Stellung gebracht werden, um die vorher benannten Aussagen zu relativieren, sondern muß helfen, sie zu erklären. So finden wir hier wertvolle Aussagen, wie ein gesundes, schriftgemäßes Verhältnis zum eigenen Fleisch aussieht: Ernähren und Hegen. Eine Hege ist ein umzäunter Weide- und Schutzbereich. Hegen bedeutet also: Umschützen und auch Grenzen setzen. Dies ist sowohl als Aussage in Bezug auf das eheliche Verhältnis bedeutend als auch in Bezug auf das eigene Fleisch: Die Liebe besteht darin, daß es zwar ernährt, aber auch innerhalb der Hege (des Grenzzaunes) des Wortes gehalten werden muß. Das Wort ist auch die Nahrung, die innerhalb der Hege dargereicht wird. So ernährt und hegt es gleichzeitig.

Ein angemesserer Umgang mit dem Selbst besteht also darin, diesem schützende Grenzen zu setzen, das heißt, die Grenzen, die aus dem Wort Gottes erkenntlich werden, zu akzeptieren und diese sich selbst zu verordnen. Dies steht im krassen Gegensatz zur humanistischen Auffassung, die Selbstverwirklichung als Mittel zur seelischen Gesundheit ansieht und Grenzsetzungen als Behinderung dieser Selbstfindung und Selbstverwirklichung ansieht.

Die Aussage: »Der das Weib seiner selbst liebende liebt sich selber.« beschert uns weitere Denkanregungen, denen wir nachgehen sollten. Auch diese Aussage über das eheliche Verhältnis läßt sich eins zu eins übertragen auf das Verhältnis des Christos zur Herausgerufenen[G] und teilt uns also mit, daß die Liebe des Christos zur Herausgerufenen nicht in dieser, sondern in ihm selbst begründet ist.

Belege hierfür sind z. B. Eph. 5, 25ff und 2. Tim. 2, 13:
»Ihr Männer, liebt eure Frauen, so wie auch der Christos die Herausgerufene[G] liebt und sich selbst für sie dahingegeben hat, um sie zu heiligen, sie reinigend durch das Wasserbad in einem Ausspruch seines Mundes, um für sich selbst die Herausgerufene[G] herrlich darzustellen, so daß sie keinerlei Flecken, Runzeln oder irgendetwas solcherart habe, sondern heilig und makellos sei.«
Wir lernen hier, daß der Grund für die selbstopfernde Liebe des Christos ist, daß er diese
für sich selbst herrlich darstellen will, also daß sein Motiv und Ziel ist, auf der Erde eine Körperschaft zu haben, die ihm immer ähnlicher wird, die ihn als Haupt würdig vertritt und darstellt, damit er seinen Dienst tun kann. Dies wird auch in Tit. 2, 14 herausgestellt, wo erklärt wird, daß der Christos sich deshalb hingegeben hat, »auf daß er uns erlöse von aller Gesetzlosigkeit und sich selber ein um ihn her seiendes Volk reinige, ein eiferndes betreffs idealer Werke«. Viele — nämlich genau die oben schon erwähnten »Bekehrten«, die an ihrem Eigenleben festhalten — ignorieren diesen Ansatz völlig und gestalten Gemeinde nicht gemäß dem Interesse des Hauptes, sondern nach den (vermeintlichen) Bedürfnissen der Glieder.

»Wenn wir untreu sind, bleibt jener doch treu, denn sich selber zu leugnen vermag er nicht.« (2. Tim. 2, 13)
Auch hier sehen wir, daß die Begründung für Gottes Treue nicht in
unserem Wesen begründet ist, sondern in Gottes eigenem Wesen. Gott liebt, weil er sich selbst durch Zusagen gebunden hat und diese nicht zu ändern vermag, denn ein Ändern gemachter Zusagen würde seinem Wesen widersprechen.
Dies steht dem humanistischen Ansatz völlig entgegen. Der natürliche Mensch will
um seiner selbst willen geliebt werden. Auch dies trifft wiederum sowohl auf das Verhältnis des Menschen im allgemeinen zu Gott als auch auf das Verhältnis des Weibes zum Mann zu.
Denn auch etliche der Frauen, die mit Verweis auf Eph. 5 vehement darauf bestehen, von ihren Ehemännern »genauso geliebt zu werden, wie der Christos die Gemeinde liebt«, wissen eigentlich gar nicht, wovon sie da reden. Erstens: Ein Mann, der sie wegen seiner eigenen Zusage liebt, also weil er ein einmal gegebenens Wort nicht ändert, weil er wie der Christos sich selbst — und sein Wort — nicht zu verleugnen vermag, genügt ihnen durchaus nicht. Sie wollen doch lieber um ihrer selbst willen geliebt werden. Offensichtlich haben sie das obencitierte Pauluswort aus Röm. 7, 18 nie ernstlich auf sich selbst bezogen. Ein Mann jedoch, der diesem Begehr entgegenkommt, liebt nun aber gerade nicht in der Art des Christos (sondern nur auf humanistische Art, in der Begriffe wie Sympathie und Antipathie eine tragende Rolle spielen, die aber nun einmal nicht sonderlich weit tragen). Zweitens: Haben diese Frauen, die hier so mutig Eph. 5, 25 anführen, auch wirklich die Verse 26 bis 29 gelesen, die diesen erklären, also sozusagen die »Durchführungsbestimmungen« zu Vers 25 darstellen? Wollen sie wirklich durch das Wasserbad der Rede ihres Mannes gereinigt werden (V. 26)? Wollen sie ihm beistehen und seinen Maßstäben angepaßt werden (V. 27)? Wollen sie
so wie Kinder geliebt werden (V. 28*), also unter Maßgabe eingeschränkter Mündigkeit, oder nicht doch lieber gemäß Genderideologie als gleichberechtigte Partner, die selbst wissen und entscheiden, was für sie gut ist? Wollen sie (V. 29) von ihrem Gatten wirklich nicht nur ernährt, sondern auch gehegt werden — also mit einer Hege, d. h. einem Schutzzaun umgeben, der dann aber bitteschön auch nicht überklettert werden darf? Wo sind nun auf einmal all die Frauen, die von ihren Männern genauso geliebt werden wollen, wie der Christos die Gemeinde liebt? Noch jemand hier?

Der Wunsch des Menschen, um seiner selbst willen geliebt zu werden, ist Quelle vieler Schmerzen. Seine Basis ist die Fiktion, daß wir um unserer selbst willen liebenswert wären, eine Annahme, die der oben schon angeführten Aussage von Paulus, daß in uns selbst nichts Gutes wohnt, widerspricht. Wer dies erwartet, wird spätestens dann, wenn er mit den Grenzen seiner eigenen Liebenswürdigkeit konfrontiert wird, auch an der Liebe Gottes zu ihm zweifeln. Nur wer weiß, daß Gott um seiner Zusage willen liebt, hat ein tragfähiges, krisensicheres Fundament, das über Selbstzweifel hinaus tragfähig ist. Wer um seiner selbst willen (von Gott oder Menschen) geliebt werden will, steht in ernster Gefahr, daß seine Beziehung zu Gott in Mitleidenschaft gezogen wird, wenn er mit eigenem Versagen konfrontiert ist. Nur wer weiß, daß Gott um seines Wortes willen liebt, wird im Zweifelsfall erfahren:

Wenn auch Fleisch und Herz mir vergehen, Fels meines Herzens und mein Teil ist Elohim für den Äon. (Ps. 73, 26)

 

* gemäß den ältesten, genauesten Handschriften steht in Vers 28 nicht »wie ihre Leiber«, sondern »wie ihre Kinder«.


Dieser Artikel kann auch
als Broschur im .pdf-Format heruntergeladen werden.

 

 

 

Zur weiteren Erklärung der Unterschiede zwischen humanistischem und biblischem Liebesbegriff siehe auch Geiernotizen »Steine schmeißen« und »Integration und Segregation«.

 

 

 

 

Nachtrag 21. 6. 10: Hier noch ein Artikel von Wilfried Plock zum gleichen Thema (.pdf-Datei).

 

 

Nachtrag 23. 12. 10: 

 

 

 

 

 

Photo: © Geier

 

 

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