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Leiden? Wieso?
30. März 2010
Der Märtyrer-Spiegel von Braght, herausgegeben um 1660, berichtet von einer Felicitas, die um das Jahr 200 in Mauretanien gefangen wurde und hingerichtet werden sollte, weil sie Christus nicht verleugnen wollte. Felicitas war aber hochschwanger und gemäß römischem Recht konnte sie erst nach der Geburt des Kindes getötet werden:
Als sie nun im Gefängnis die Geburtswehen ankamen und sie vor Bangigkeit und Beängstigung schrie, sagte der Kerkermeister zu ihr: »Du bist nun so bange und beängstigt, und schreiest so sehr vor Pein, wie wirst du dich da gehaben, wenn du morgen oder übermorgen den Tod erleiden sollst?«
Felicitas antwortete darauf also: »Nun leide ich als eine arme Frau die Strafe, die Gott der Sünde wegen dem weiblichen Geschlechte auferlegt hat; aber morgen werde ich als eine christliche Frau leiden um des Glaubens und Bekenntnisses Jesu Christi willen.«
Viele scheitern im Leiden daran, daß sie dieses nicht richtig geistlich einordnen können. Denn offensichtlich gibt es verschiedene Gründe für Leiden. Gleiche Wirkungen können unter Umständen völlig unterschiedliche Ursachen haben: Nabot (1. Kön. 21, 13) wurde gesteinigt wie Achan (Jos. 7, 25), aber der eine starb als Gerechter, der andere wegen seiner Verfehlung. Die Bibel ist voll von Beispielen unterschiedlicher Leidensgründe, und auch die Jünger hatten ihre Probleme, das richtig zu sortieren. In Bezug auf einen Blindgeborenen fiel ihnen erst einmal nichts weiter an möglichen Ursachen ein, als daß entweder dieser oder seine Eltern verfehlt haben müßten (Joh. 9, 1ff) — weswegen dieses Leiden wohl hinzunehmen sei — und lagen mit ihrer Diagnose komplett daneben. Jesus ordnete dies als ein Leiden ein, dem er sich entgegenzustellen habe und heilte den Blinden.
Es gibt aber auch Leiden, die anzunehmen sind. Über Jesus selbst steht geschrieben, daß er leiden mußte, um in die Herrlichkeit einzugehen (Lk. 24, 26) und auch über seine Nachfolger wird nichts anderes gesagt. Paulos schreibt an Timotheos, daß jeder, der in Christos bleibt, Verfolgung leiden muß (2. Tim. 3, 12) und den Korinthern erklärt er die ganz gegensätzlichen Auswirkungen, die mit den verschiedenen Gründen des Leides verbunden sind:
Denn die Betrübnis gemäß Gott bewirkt Mitdenken hinein in unbereubare Retthütung; aber die Betrübnis des Kosmos wirkt Tod herab. (2. Kor. 7, 10)
Es ist offensichtlich, daß die richtige Einordnung von Leiden und Erschwernissen, die uns begegnen, ein hartes Ringen ist. Selbst Jesus hat schwer gerungen, ob es wirklich nötig sei, den tödlichen Kelch zu trinken, der vor ihm stand (Mt. 26, 42; Lk. 22, 42). Hatte er nicht die Alternative, Gottes Zorn über diejenigen herabzurufen, die im Begriff standen, ihn zu Unrecht zu töten und dieses Jerusalem in Schutt und Asche zu legen wie Sodom? Auch die Jünger waren ja schon einmal nahe daran, ein samaritanisches Dorf, das sie nicht aufnehmen wollte, in dieser Art zu vernichten, was Jesus ihnen aber verwehrte (Lk. 9, 52ff).
So bleibt bestehen, daß es einerseits Leidenssituationen gibt, denen wir uns beugen und die wir ertragen müssen, um daran zu wachsen und Frucht zu bringen, andererseits solche, die wir zurückweisen dürfen oder müssen und drittens auch solche, die uns herausfordern, in unserem Leben aufzuräumen. Ich hatte ja in dem Artikel über Brot und Wein schon darauf hingewiesen, daß der Fall, daß jemand wirklich um seiner eigenen Verfehlungen willen leidet, nicht ausgeschlossen ist: Was im Falle des oben erwähnten Blindgeborenen falsch war, kann also in einem anderen Fall durchaus richtig sein.
Letztens ergab sich ein Gespräch über den besonderen Leidensfall der Ausgrenzung durch andere. Auch hier gibt es möglicherweise Selbstverschulden (Spr. 18, 1), aber auch viel tatsächliches Leiden für Christus: So steht in Jes. 53, 3, wo meistens in Bezug auf Jesus »ein von Menschen Verachteter und Verlassener« übersetzt wird, eigentlich »ein Verachteter und Gemiedener der Männer«, und wer sich im religiösen Establishment ein bißchen auskennt, weiß genau, was das bedeutet und wie relevant diese Aussage ist. Der Jünger steht auch hier nicht über seinem Meister und hat das selbe zu leiden (Joh. 15,20): Ich habe auch in den letzten Monaten mehrere unabhängige Zeugnisse von Männern aus verschiedenen Denominationen erhalten, daß dort nur solche Brüder ernstliche Verantwortung übernehmen können, die stromlinienförmig und weichgespült sind und von denen jedenfalls nicht zu erwarten ist, daß sie in irgendeiner Weise unbequem oder herausfordernd werden könnten. Das führt dazu, daß vorzugsweise solche in Verantwortung geraten, die am wenigsten im Wort befestigt sind, während die »scharfkantigen« unauffällig kaltgestellt werden, indem man ihre Dienstbereitschaft so kanalisiert, daß sie »keinen Schaden anrichten können«, also keine Unruhe stiften, die am Ende noch jemanden zur Sinnesänderung bewegen könnte.
Dahinter steckt die Ahnung, daß das kirchliche bzw. freikirchliche System auf einem Konsens beruht, der nicht schriftkompatibel ist. Wenn nun einer kommt, diesen Konsens aufkündigt und eine Anpassung an schriftgemäßes Verhalten fordert, wird das für eine Minderheit Anlaß sein, mit Gott weitergehen zu wollen, während die Mehrheit auf dem status quo beharren wird, so daß zwangsläufig Unruhe, Friktion und Spaltung entstünde. Das will man um jeden Preis — auch um den Preis, Gott ungehorsam zu sein — vermeiden und trifft wo immer dies möglich ist Vorsorge, diese geistlich Mündigen[G] auszugrenzen (oder sollte man besser »eingrenzen« sagen?). Dann kann man den Rest bequem Sonntag für Sonntag bepredigen und in Unmündigkeit halten, denn Unmündigkeit ist eine unabdingbare Voraussetzung zum religiösen Systemerhalt, schon allein deshalb, weil Mündige nie auf die Idee kämen, sich jemanden anzustellen, der sie bepredigt. Die leben ja selbst im Wort und wollen sich über das, was sie dort finden, mit anderen Mündigen austauschen und es auch, wo dies möglich ist, mit weniger Mündigen teilen, um sie schrittweise zum Wachstum anzuleiten.
Es ist genau das selbe Verhaltensmuster der Ausgrenzung derer, die unbequeme Wahrheiten vertreten, wie es auch Jesus ertragen mußte, den uns Jesaja als den »von den Männern gemiedenen« vorgestellt hat, also als einen, der desozialisiert ist, der außerhalb der Gesellschaft steht. Über solches Leiden sollen wir uns aber sogar freuen:
Glückselig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und jedes böse Wort lügnerisch wider euch reden werden um meinetwillen. Freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß in den Himmeln; denn also haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch waren. (Mt. 5, 11f)
Und Petros schreibt dazu:
Denn dies ist Gnade, wenn wegen des von Gott gegebenen Gewissens jemand Betrübnisse erträgt, als ungerecht leidend. (1. P. 2, 19)
Die Unterscheidung, warum ein Leiden uns trifft, ist also essentiell wichtig, um richtig damit umzugehen: Sollen wir uns darüber freuen? Sollen wir dadurch zum Umdenken gebracht werden? Sollen wir uns dem entgegenstellen? Hier müssen wir um Verständnis ringen, damit wir nicht vergeblich leiden.
Nachtrag 3. 4.:
Hier noch einige Schriftverweise als Anregung für diejenigen, die das Thema vertiefen möchten:
Leiden als Katalysator für Erkenntnis- und Verstehensprozesse: Hiob 42, 5
Demütigung als Mittel der Zurechtbringung: Ps. 119, 67 und 71; siehe hierzu auch Hebr. 12, 6 — 11, wo Züchtigung als Kennzeichen der Sohnschaft beschrieben wird
Paulos rühmt sich der Drängnisse, weil diese Geduld und Bewährung bewirken: Röm. 5, 3ff; siehe auch 2. Kor. 7, 8 — 11. Ähnliches schreiben Petros: 1. P. 1, 6f und Jakobos: Jk. 1, 2f
Die eigene Drängnis als Lehrstück, anderen in Drängnis beistehen zu können: 2. Kor. 1, 3f
Leiden als Zeichen von Gnade: Phlp. 1, 29
Verfolgungsleiden als Selbstverständlichkeit und Grund zur Freude: 1. Petr. 4, 12 — 14