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Bild des Unsichtbaren
23. Februar 2010
Schwierige Bibelstellen IV: Kol. 1, 15
Dies ist die erste Notiz in der neuen Rubrik »Leser fragen den Geier«. Über das Kontaktformular treffen ja gelegentlich interessante Fragen ein, und sofern ich diese beantworten kann und auch meine, daß dies für weitere Leser von Interesse sein könnte, werde ich diese in loser Folge zu Geiernotizen verarbeiten — die Identität des Fragestellers bleibt selbstverständlich geschützt.
Die Reihe »›Schwierige‹ Bibelstellen« hat einen Leser veranlaßt, nach Kol. 1, 15 zu fragen, und hier ist die versprochene Antwort:
Kolosser 1, 15 spricht von Christus als dem »Bild des unsichtbaren Gottes«, und das scheint ja tatsächlich erst einmal ein Paradoxon zu sein: Etwas, das unsichtbar ist, kann man nicht abbilden. Tatsächlich? Zumindest aus der Naturwissenschaft kennen wir ja visuelle Beschreibungen unsichtbarer Dinge — die Modelle. So kann ich Sauerstoff zwar nicht sehen, aber in einem Modell abbilden, das die molekularen Eigenschaften des Sauerstoffs abbildet. Wer das Modell sieht, sieht zwar immer noch keinen Sauerstoff, aber er kann etwas über die Eigenschaften des Sauerstoffs lernen.
Dies ist zwar nur ein Gleichnis, aber es bringt uns schon einmal auf die richtige Fährte. Tatsächlich aber besteht zwischen dem Christos und dem Vater eine viel höhere Übereinstimmung als zwischen einem Sauerstoffmolekül und dem Modell eines solchen. So sagt Jesus in Johannes 14, 7:
»Wenn ihr mich kennengelernt hättet, würdet ihr auch meinen Vater kennen; und von jetzt an werdet ihr ihn kennen, und ihr habt ihn gesehen.«
Das war ja eigentlich eine ungeheuerliche Provokation, aber Philippos scheint fürs erste recht unbekümmert und antwortet:
»Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns.«
Jesus antwortet ihm:
»In so vieler Zeit bin ich mit euch, und nicht hast du mich kennengelernt, Philippos? Der mich Gesehenhabende hat den Vater gesehen.«
Jesus begründet dies in Vers 10 damit, daß der Vater in ihm bleibt, durch ihn spricht und durch ihn wirkt.
Bevor Paulos die seltsame Formel vom »Bild des unsichtbaren Gottes« gebraucht, hat Jesus also genau diesen Sachverhalt schon erklärt. Er bildet Gott ab, indem er seine Wesensart zeigt, nicht seine physische Dimension. Wer hört, was Jesus spricht und sieht, was er tut, der sieht das Bild Gottes. Es handelt sich also nicht um ein graphisches Bild, sondern um ein verbales Bild, ausgedrückt in den Worten des Neuen Testamentes, eine Beschreibung, nur eben bei weitem getreuer, als es z. B. ein Molekularmodell sein könnte. Eine verbale Beschreibung ist auch schon deshalb sinnvoll, da Wesensmerkmale nun einmal nur in Worten ausgedrückt werden können, nicht aber in Bildern.
Wer also zum Beispiel die Bergpredigt liest oder über den Umgang von Jesus mit Zachäus, dem erschließt sich Stück für Stück das Vaterherz Gottes.
Dieses Bild, das Jesus uns auf diese Art gezeigt hat, ist das absolut einzige legale Bild Gottes. Da Treue zu Gott aus dem Gehörten entsteht und nicht aus dem Gesehenen, das Gehörte aber durch das Reden des Christos (Röm. 10, 17), fallen alle anderen Bilder unter das Verbot von 2. Mose 20, 4:
»Nicht machst du dir eine Skulptur oder allirgendein Artgleiches dessen, was in den Himmeln oben und was im Erdland unten und was in den Wassern unter dem Erdland ist.«
Während im natürlichen Bereich die Sinne Sehen und Hören einander ergänzen, sind es im geistlichen Bereich gegenläufige Prinzipien. Spr. 14, 14 z. B. sagt: »Von seinen Wegen [also dem, was er sieht und erlebt] wird gesättigt, wer abtrünnigen Herzens ist, aber von dem, was in ihm ist [nämlich dem gespeicherten Schatz des Wortes Gottes] der gute Mann.« 2. Kor. 4, 18 ermahnt uns »nicht zu achten auf das Erblicktseiende [sichtbare] sondern auf das nicht Erblicktseiende [unsichtbare], denn die erblicktseienden [Dinge] sind befristete, aber die nicht erblicktseienden äonische [nicht befristete].« Hier wird ein geistliches Prinzip erklärt, das wir in den Paulosbriefen häufig finden und das den Unterschied zwischen fleischlicher und geistlicher Gesinnung markiert. In Athen erinnert Paulos daran, daß wir »nicht meinen sollten, daß das Göttliche dem Golde oder Silber oder Stein, einem Gebilde der Kunst und der Erfindung des Menschen, gleich sei.« (Apg. 17, 29)
Völlig verquer wird die Sache dort, wo einige meinen, ausgerechnet von Jesus, der als »Bild des Unsichtbaren« die Wesensart Gottes widerspiegelt, physische Bilder verfertigen zu müssen (oder auch nur zu dürfen). Es hat ja seinen guten Grund, daß uns kein authentisches Bild seiner körperlichen Existenz überliefert ist (2. Kor. 5, 16). Das hindert aber einige nicht daran, ihrer Phantasie die Zügel schießen zu lassen und Bilder von gelockten Knaben als »Christusbilder« unters Volk zu bringen. Das Bestreben, von dem, der selbst »Bild des Unsichtbaren« ist, ein sichtbares Bild herbeizuphantasieren, zeugt von völligem Unverständnis in Bezug auf sein Wesen. Solches Wollen kommt aus dem Denken des religiösen Fleisches heraus, das es als unglaubliche Zumutung empfindet, sich einem unsichtbaren Gott zu beugen. Es ist exakt das selbe Denken, das in der Wüste dazu geführt hat, daß das Volk unter Aaron ein goldenes Kalb verfertigte. Der feine Unterschied zu den Götzen der sie umgebenden Nationen lag hier darin, daß sie in ihrem kranken Denken auch noch den unsichtbaren Gott in dieses sichtbare Machwerk hineinzuprojizierten. Als sie das Kalb aufgestellt hatten, sprachen sie: »Dies ist dein Gott, Israel, der dich aus dem Lande Ägypten heraufgeführt hat. Und als Aaron es sah, baute er einen Altar vor ihm; und Aaron rief aus und sprach: Ein Fest dem Jahwe ist morgen!« (2. Mose 32). Diese unglaubliche Lästerung hätte beinahe zur Vernichtung des Volkes geführt.
So sind auch heute Götzenbilder, in die Jesus hineinprojiziert wird, als besonders lästerlich anzusehen. Sie sind Werke des Diabolos, welche die Anbetung eines falschen Christos, eines Anti-Christos bewirken sollen. Das griechische »anti« des Bibeltextes bezeichnet ja weniger ein »gegen«, als vielmehr ein »anstatt«. Anti-Christos bezeichnet also hauptsächlich einen falschen Messias, der sich an die Stelle des richtigen zu setzen versucht.
Beispielhaft sind hier die Mithrasbilder zu nennen, die seit der constantinischen Zeit als sogenannte »Christusbilder« adaptiert wurden. Die Abbildung zeigt links ein Mithrasbild. Mithras (griechisch) ist auch als »Sol invictus« (römisch) oder Elaga-Baal (syrisch) bekannt und ein antiker Sonnengott. Rechts der falsche »Christus« mit dem typisch mithräischen Sonnenkranz, beispielhaft hier ein Bild von Pietro Cavallini, freilich finden sich ähnliche Bilder durch die Jahrhunderte hindurch im ganzen lateinischen Einflußbereich in großer Zahl. Und auch wenn die Ikonodulen noch so oft behaupten, daß gegenständliche Gottesbilder ja nur die Funktion hätten, im Alltag an Gott zu erinnern: Jegliche bildliche Darstellung verstellt den Blick auf den wahren, unsichtbaren Gott.
Das Goldene Kalb ist eine direkte prophetische Vorschattung auf diese sogenannten »Christusbilder« hin. Zum Götzendienst wird Lästerung hinzugefügt, indem nicht einfach nur ein religiöses Bild aufgerichtet wird, sondern auch noch der Name des lebenden Gottes mit dem toten Bild in Verbindung gebracht wird.
Das strikte Verbot solchen Bildwerks und das geistliche Prinzip, daß Gottes tatsächliches Wesen nicht nonverbal zu beschreiben ist, bedeutet nun aber im Umkehrschluß nicht, daß alle verbalen Gottesbilder richtig seien. Wenn Paulos davor warnt, daß viele solcher falschen Christoi kommen werden (1. Joh. 2, 18), dann bedeutet das eben auch: Auf viele Art und Weise. Es werden also auch verbale falsche Gottesbilder an jeder Ecke feilgeboten, ob nun klassisch in Goethes »Faust« oder modern in W. P. Youngs Bestseller »Die Hütte«, wo ein angeblicher Jesus den Satz spricht: »Ich bin der beste Weg, wie die Menschen zu Papa und in Beziehung zum Heiligen Geist kommen können«. Da wissen wir sofort, daß hier ein falscher Christos und damit auch ein frei erfundenes Gottesbild untergeschoben wird, denn der echte Jesus ist nun einmal nicht der beste, sondern der einzige Weg zur Versöhnung mit Jahweh.
Siehe auch Geiernotiz »Nechustan — Kreuz oder Pfahl?«