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Fremde Federn: »Immer schneller, immer dümmer«
3. Mai 2011
Der folgende Text von Thomas Lachenmaier wurde zuvor in der Schweizer factum 1 / 2011 gedruckt. Hier erscheint er mit freundlicher Genehmigung des Autors:
Digitale Medien verführen zu einer Verwahrlosung der Sprache. Das ist kein harmloser Vorgang, sondern hat auch eine geistliche Bedeutung.
Immer mehr Menschen gehen dazu über, ihre E-Mails «einfach so» zu schreiben: Sie bemühen sich nicht länger, Tippfehler, Buchstabendreher, falsche Schreibweisen und Grammatik zu vermeiden. Das Geschriebene hat keine Struktur, keinen Aufbau. Die Anrede ist beliebig oder fehlt gleich ganz. Alles ist durcheinandergeworfen, weil Gross- und Kleinschreibung, Grammatik und Orthografie keine Rolle spielen.
Was soll’s, könnte man sagen, heute hat halt keiner mehr Zeit. Es muss schnellschnell gehen. Aber das ist zu kurz gedacht.
Der technische Wechsel vom Brief zur E-Mail, zum Chat, zum Twittern, zur SMS erweist sich auf der formalsprachlichen Ebene als eine Primitivisierung von Sprache. Solange die Information übermittelt wird, soll es genügen, lautet die Devise. Die Folge dieser schwindenden Sprach-Disziplin ist eine fortschreitende Sprachzerstörung. Am Ende dieser Abwärtsspirale steht ein Geschreibsel voller Fehler und Abkürzungen. Es trägt kaum die dürre Information, zu deren Vermittlung es verfasst wurde. Man kann nicht mehr tun, als das so Geschriebene, wenn es denn sein muss, zu überfliegen, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen und als Sprachmüll «wegzuklicken».
Mit den Genauigkeiten, zu denen menschliche Ausdrucksweise fähig ist, gehen auch Informationen, Zwischentöne, Feinheiten, Freundlichkeiten und Nuancen verloren. In der Formlosigkeit schwindet das unsichtbare Band des echten Zugewandtseins zum Empfänger der Nachricht. Der Respekt vor dem Eigenen leidet ebenso darunter wie der Respekt vor dem Gegenüber. Es sind auch Formen, die das Miteinander prägen. Wer die Form verletzt, verletzt das Miteinander.
Wenn sich die Achtlosigkeit, die immer mehr zum Merkmal menschlichen Handelns wird, auch noch der Sprache bemächtigt, entsteht das hässliche Fundament einer allgemeinen Nachlässigkeit. Auf diesem gedeihen Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit. Es ist der Diabolos, der Durcheinanderwerfer, der mit der Sprache auch die Verständigung der Menschen beeinträchtigen will.
Aber es geht noch mehr verloren als das Genannte. Wo Achtlosigkeit die Sprach-Sorgfalt ersetzt, beschädigt der Mensch seine Erkenntnisfähigkeit. Denken geschieht, wie die Kommunikation, in Worten und Begriffen, in grammatischen Strukturen und Sätzen. Beide sind eng miteinander verwoben. Sorgfältiges Formulieren, sei es schriftlich, sei es mündlich, ist ein den Menschen disziplinierendes Geschehen. Bedachtes Formulieren ist eine Schule des Denkens und schult damit die Fähigkeit zu erkennen. Wer also seine Sprache vernachlässigt und verludern lässt, der untergräbt zugleich seine Erkenntnisfähigkeit. Alles wird zu einem Irgendwie. Er schwächt seine Fähigkeit zu unterscheiden, zu definieren. Unterscheiden zu können, ist aber eine geistliche Kerntugend. Glaube hat auch mit klarem Denken zu tun.
Die Sprachfähigkeit steht im Zentrum des Menschseins. Dass der Mensch sprechen kann, zeigt, dass er ein Geschöpf Gottes ist. Die Sprache ist das grösste Geschenk, das Gott dem Menschen bei seiner Erschaffung gemacht hat. Sie ist das wohl bedeutendste Element seiner Gottesebenbildlichkeit. «Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott. Dieses war im Anfang bei Gott» (Joh. 1, 1 — 2). Wer mit diesem Geschenk so umgeht, wie das zunehmend der Fall ist, der missachtet sein Geschaffensein von Gott. Er macht sich vom Besonderen zum Gewöhnlichen und beraubt sich selbst eines bedeutenden Ausdrucks seiner Gottesebenbildlichkeit. Dieser Mangel an Achtsamkeit, dieses Fehlen von Sorgfalt färbt auf das Denken und Fühlen ab. Wenn die Sprache, wie ausgeführt, ein Geschenk Gottes ist, dann hat ihr Gebrauch eine geistliche Dimension. Sprache ist ja auch das Mittel unseres Redens zu Gott, des Gebets. Dass der Mensch seine Sprachfähigkeit in der täglichen Anwendung immer mehr reduziert, bis zur Beschädigung, ist also keine Marginalie, sondern ein Vorgang von geistlicher Relevanz. Das ist, als ob ein Mensch von jemandem, der ihn liebt, einen sehr wertvollen, in sorgfältiger Handarbeit hergestellten Füller geschenkt bekommt. Und der diesen Füller mit der groben Faust packt und damit nachlässig hässliche Krakel auf Papier kleckst und dabei noch die feine Mine beschädigt. Wie soll er jetzt diesen schönen Füller nutzen, um damit nach wohlgesetzten Worten zu suchen, um diesem Menschen, der ihm Liebe und Wohlwollen entgegenbringt, Gedanken und Gefühle in einer schönen Schrift mitzuteilen? Wie soll er jetzt dieses Schreibgerät nutzen, um dem Menschen, der ihn liebt, zu schreiben, ihm zu danken?