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Citat(e) des Tages LXXIV


By Geier - Posted on 20 November 2013

20. November 2013

 

 

So wie der Staat, was die rein wissenschaftliche Ausbildung betrifft, schon heute in das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen eingreift und ihm gegenüber das Recht der Gesamtheit wahrnimmt, indem er, ohne Befragung des Wollens oder Nichtwollens der Eltern, das Kind dem Schulzwang unterwirft, so muß in noch viel höherem Maße der völkische Staat dereinst seine Autorität durchsetzen gegenüber der Unkenntnis oder dem Unverständnis des einzelnen … .

Adolf Hitler, »Mein Kampf«, München 1943

 

Mit der Schulpflicht haben die Eltern hinzunehmen, dass der Staat als Bildungs- und Erziehungsträger im Umfang des schulischen Wirkungsfeldes an ihre Stelle tritt, womit ihre Möglichkeit, unmittelbar in eigener Person pädagogisch auf ihre Kinder einzuwirken, auf den außerschulischen Bereich beschränkt wird. Für die Ausfüllung seiner Rolle ist der Staat darauf angewiesen, das Bildungs- und Erziehungsprogramm für die Schule grundsätzlich unabhängig von den Wünschen der beteiligten Schüler und ihrer Eltern anhand eigener inhaltlicher Vorstellungen bestimmen zu können.

Bundesverwaltungsgericht Leipzig, 6. Senat, Urteilsbegründung,

Neumann et al., 11. 9. 2013

 

Ist es legitim, diese beiden Citate nebeneinanderzustellen, so, wie dies ein aufmerksamer Leser in einer Zuschrift getan hat, und damit die honorigen Leipziger Richter in einem Atemzuge zu nennen mit einem weit weniger honorigen deutschen Diktator?

Man mag das polemisch nennen, man kann aber auch anerkennen, daß auf einen groben Klotz nun einmal ein grober Keil gehört. Und das, was das BVerwG hier vorgelegt hat, ist tatsächlich ein extrem dicker Klotz. Die Parallelen in Form, Inhalt und der Zielsetzung, den Eltern die Reste des Erziehungsrechtes zu entwinden und sie an den Staat zu übertragen, sind offensichtlich und derart erschreckend, daß es nicht nur legitim, sondern geradezu geboten erscheint, dies deutlich aufzuzeigen — einerseits um der verbreiteten allgemeinen Geschichtsvergessenheit entgegenzuwirken, andererseits aber auch mit Verweis auf das obenstehende Motto dieses Blogs (Eph. 5, 11).

Überhaupt: Je öfter mir Fetzen aus Hitlers Opus unterkommen, desto mehr vermute ich, daß die Publikation des Buches nicht wegen seiner übergroßen Ferne zur heutigen gesellschaftlichen Realität unterbunden wird, sondern vielmehr wegen seiner verräterischen Nähe.

Worum aber geht es bei dem angeführten Urteil nun im einzelnen? Vor fünf Jahren hatten Eltern, die den »Zeugen Jehovas« angehören, ihren zwölfjährigen Sohn von der Teilnahme an der Vorführung des occulten Films »Krabat« freistellen lassen wollen, was der Schuldirektor prompt verweigerte. Vor zwei Jahren hatte das Oberverwaltungsgericht Münster — unter freudiger Anteilnahme der Geiernotizen — in der Berufungsverhandlung noch festgestellt, daß der Schulleiter dem Anliegen der Eltern wegen der grundgesetzlich gebotenen Rücksicht auf die Glaubensüberzeugungen der Eltern hätte entsprechen müssen. Dieses Urteil hat das BVerwG jetzt kassiert. Es lohnt sich, über das oben angeführte Citat hinaus einen zweiten Blick auf die Urteilsbegründung zu werfen, um zu verstehen, wie und warum das elterliche Erziehungsrecht heuer bis zur völligen Bedeutungslosigkeit ausgehöhlt wird.

Übersetzt man die Begründung aus der juristischen Fachprosa ins Deutsche, dann liest sie sich in etwa so: Natürlich wissen wir ganz genau (und dies wird auch seitenweise citiert), daß das Grundgesetz eigentlich den Eltern das Recht zuspricht, über Erziehungsinhalte selbst zu bestimmen. Aber wir gewähren ihnen dieses Recht nicht. Denn wenn wir das täten, dann kämen auch die Moslems an und würden Unterrichtsbefreiungen einfordern bei Inhalten, die ihren Glaubensüberzeugungen widersprechen, und da diese in noch ganz anderem Maße als die hier klagenden Zeugen Jehovas zur »Tabuisierung bestimmter literarischer oder filmischer Darstellungen oder sonstiger Unterrichtsinhalte« neigen, können wir das Modell von Schule als Mittel zur Gleichschaltung Integrationsmotor ganz und gar vergessen. Da konstruieren wir doch lieber einen »staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag«, den der Verfassungstext (der nur allgemein von staatlicher Aufsicht über das Schulwesen spricht) zwar nicht kennt, aber an den ja möglicherweise einer der Väter des Grundgesetzes gedacht haben könnte, und tun mal so, als müsse man zwischen diesem fiktiven Implicat und dem tatsächlich und explicit niedergeschriebenen Verfassungsgebot, das den Eltern eindeutig den Vorrang bei Bildung und Erziehung zuspricht, abwägen und ausgleichen wie zwischen zwei gleichberechtigten Rechtsgütern. Haben wir dieserart erst einmal ein Gleichgewicht zwischen fiktivem staatlichem Erziehungsauftrag und tatsächlichem elterlichem Erziehungsrecht hergestellt, müssen wir nur noch wie ein Vorstadtmetzger den Daumen auf die Waagschale legen, und schon ergibt sich ein leichtes Übergewicht zugunsten des Staates. Um die Dürftigkeit solcher Argumentation zu kaschieren und etwas Legitimität vorzutäuschen, blenden wir dann mal mit einer ungeheuren Vielzahl früherer Gerichtsentscheidungen, vorzugsweise aus unserem eigenen Hause, die auf dem gleichen gedanklichen Construct basieren und die ja schließlich auch nicht zu Volksaufständen gem. Artikel 20 (4) des Grundgesetzes geführt haben.

Natürlich: Worte wie »Islam« oder »Moslems« kommen in der ganzen Urteilsbegründung nicht vor, aber schließlich kommt im Grundgesetz auch kein »staatlicher Erziehungsauftrag« vor, und ganz eindeutig steht die nackte Angst vor einer islamischen Parallelgesellschaft, die entstehen würde, wenn der Staat das Heft der Schulpflicht nicht mit diktatorischer Strenge in der Hand behielte, mit weit größerer Klarheit zwischen den Zeilen der Leipziger Urteilsbegründung als dieser ominöse »staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag« zwischen denen des Grundgesetzes. Man hat panische Angst vor der Desintegration dieser ganzen individualistischen Gesellschaft und versucht hier verzweifelt, die Demokratie zu retten, indem man mittels Schulzwangs die Entstehung archaischer antidemokratischer Parallelgesellschaften auszubremsen sucht, installiert zu diesem Behufe aber eine im Kern selbst antidemokratische Bildungsdiktatur: Ein klassischer Fall von Selbstmord aus Angst vor dem Tode.

Das Gericht baut einen Popanz auf mit der Behauptung, das Ende allen Schulunterrichtes wäre herbeigekommen, wenn die Schule Rücksicht zu nehmen hätte auf die Überzeugungen aller Eltern, da es einen elterlichen Konsens über Unterrichtsinhalte in einer pluralistischen Gesellschaft eben nicht geben könne. Dies geht aber am Kern der zu entscheidenden Rechtssache insofern vorbei, da die Eltern ja gar nicht die Vorführung des Filmes verhindern, sondern lediglich ihren Sohn davon ausnehmen wollten, ein Recht, das der Gesetzgeber aus wichtigem Grund übrigens vorsieht, leider ohne einen solchen exakt zu umreißen. Was die Richter von solchen »wichtigen Gründen« halten, ist im Urteil nachzulesen: Sie richten für künftige Fälle Hürden auf, deren Höhe das Vorkommen solcher Gründe praktisch ausschließt. Freilich: Die entsprechenden Passagen sind andererseits auch wieder so unscharf, daß sie keinen Rechtsfrieden schaffen können und sich auch künftig Anwälte und Richter an der Frage werden wundreiben können, wo denn nun die Grenze überschritten sei, jenseits derer staatliche Bildungswillkür einen nicht mehr zu rechtfertigenden Eingriff in die elterliche Erziehungsautonomie darstellt.

Interessant ist insonderheit auch der Absatz (34), in dem erklärt wird, daß es ja eigentlich gar keine Probleme gäbe mit solchen, deren Glaube sich in abstracten kultischen Handlungen erschöpft (der nach biblischen Maßstäben also mausetot ist). Schwierigkeiten machen nur immer diejenigen, die sich doch tatsächlich erdreisten, ihre Glaubensüberzeugungen auch wirklich in ihr Leben zu integrieren, ja die ihre alltägliche Lebensführung gar nach diesen Überzeugungen ausrichten (und dadurch, wie es in Apg. 24, 5 ausgedrückt ist, »den Erdkreis in Aufruhr versetzen«).

Die Richter jedenfalls sehen die Schule durch ihren »gemeinschaftsstiftenden Effekt« legitimiert, der nur durch »die permanente obligatorische Teilhabe am Schulunterricht unter Hintanstellung aller entgegenstehenden individuellen Präferenzen gleich welcher Art« zu gewährleisten sei, und beschreiben die Schule so als mit den typischen Merkmalen einer Psychosekte versehen, hier allerdings mit einem Staatsauftrag zur Gehirnwäsche. Die Schule tritt nunmehr auch ganz unversteckt nicht mehr als Wissensvermittler auf, sondern als ein zum Elternhaus konkurrierendes Sozialsystem. »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« — auch dieses Citat drängt sich in diesem Zusammenhang auf. Daß darüberhinaus der Staat hier explicit an die Stelle der Eltern gesetzt und damit durch höchsrichterliche Hybris buchstäblich und ohne den geringsten Anflug von Ironie zum »Vater Staat« verklärt wird, ist nicht nur das Ende des elterlichen Bildungs- und Erziehungsrechtes (das ja recht eigentlich eine vom Grundgesetz verordnete Bildungs- und Erziehungspflicht ist) sondern in letzter Konsequenz auch das Ende des »besonderen Schutzes von Ehe und Familie«, den das Grundgesetz fordert.

  

 

 

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