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Ab zwölf.
3. Oktober 2010
Florentine Fritzen hat sich die Mühe gemacht, sich durch eine unglaubliche Müllhalde zu wühlen: Sie hat sich 100 Filme angesehen, welche die »Freiwillige Selbstkontrolle der Filmindustrie« (FSK) von zwölf Jahren an freigegeben hat. Das Ergebnis ist erschreckend: Folterszenen, Gruppensex, Nekrophilie, Gewaltexcesse, »Sexscenen, bei denen sich manche erwachsenen Zuschauer fragen, inwieweit die Schauspieler hier überhaupt noch schauspielern, so unmittelbar wird alles gezeigt«, Inzest, Perversion, unvorstellbare Obszönitäten und Bestialitäten en gros und vor allem auch: en detail. Fritzen kommentiert hier in einer Text-Bild-Strecke einige Punkte der jeweiligen Filme und schon das bloße Lesen ist nicht jugendfrei und kann selbst bei Erwachsenen zu Übelkeit führen. Die FSK läßt den Unrat aber auf Kinder los. Besonders problematisch daran ist, daß einige Eltern möglicherweise größere Probleme haben, ihren Heranwachsenden einen Film auszureden, der als »FSK 12« gekennzeichnet ist. Schließlich wird diese Kennzeichnung als quasi amtliches Siegel wahrgenommen, auch wenn sie dies mitnichten ist.
Denn die FSK ist eine Firma der »Spitzenorganisation der Filmwirtschaft«, eines Interessenverbandes der Film-, Fernseh- und Videofirmen. Ihre Rechtsgrundlage besteht unter anderem in den FSK-Grundsätzen, die wiederum eine Grundsatzkommission aus Vertretern der Filmwirtschaft, der Rundfunkanstalten und sonstigen Funktionären festlegt. Eine gesetzliche Pflicht zur Alterskennzeichnung besteht in Deutschland nicht. Zielsetzung der Gründung der FSK war auch von Anfang an, eine staatliche Reglementierung der Filmwirtschaft zu vermeiden, indem man die Sache eben selbst in die Hand nimmt. Das erinnert mich vage an die deutschen Jugendämter, die ja auch ihre eigene Kontrollinstanz sind, nur daß im Falle der Filmwirtschaft dann auch noch commerzielle Interessen dazukommen. Handfeste Interessen. Denn je niedriger ein Film eingestuft wird, desto höher ist natürlich der Personenkreis, der als zahlende Kundschaft in Frage kommt. Dabei ist das jeweilige Prüfverfahren bewußt auf Intransparenz ausgelegt:
Die Mitglieder der Prüfausschüsse und die Protokollführenden, ebenso die als künftige Prüfer teilnehmenden Personen, sind zur allseitigen Verschwiegenheit verpflichtet. Sie dürfen nichts über den Inhalt der Beratung, über Stimmabgabe und Stimmverhältnis bekannt geben*.
Wie wirksam ein solches Construct sein kann, zeigen Fritzens Beispiele.
Die Behörden lassen hier der Filmwirtschaft mehr oder weniger freie Hand:
Die obersten Landesjugendbehörden bedienen sich gemäß Vereinbarung der Länder über die Freigabe und Kennzeichnung von Filmen, Videokassetten und vergleichbaren Bildträgern der Prüftätigkeit der Ausschüsse der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft als gutachterlicher Stelle.
Die Prüfungsvoten der FSK sind von den obersten Landesjugendbehörden als eigene Entscheidung übernommen (sic!) und die Filme und anderen Trägermedien sind gemäß § 14 Abs. 6 JuSchG von ihnen gekennzeichnet, soweit nicht oberste Landesjugendbehörden für ihren Bereich ausdrücklich eine abweichende Entscheidung treffen*.
Man stelle sich vor, einem Interessenverband der Bauwirtschaft würde die Aufgabe übertragen, Bauland auszuweisen, Baugenehmigungen zu prüfen und zu erteilen und die Bescheide des Verbandes würden von den Baubehörden »als eigene Entscheidung übernommen« …
Bemerkenswert ist zum Beispiel, daß Til Schweigers »Kleinohrhasen«, der von Fritzen völlig zurecht als ungeeignet für Zwölfjährige angesehen wird, ursprünglich von der FSK sogar ab sechs Jahren freigegeben war und erst nach massiven Elternprotesten überhaupt auf zwölf Jahre hochgestuft wurde.
Man hält sich auch nicht einmal an die Regeln, die man sich selbst gegeben hat:
Ein Film oder Trägermedium darf für eine Altersgruppe nur freigegeben werden, wenn er die Entwicklung oder Erziehung keines Jahrganges dieser Altersgruppe beeinträchtigen kann. Dabei ist nicht nur auf den durchschnittlichen, sondern auch auf den gefährdungsgeneigten Minderjährigen abzustellen*.
So dürften zum Beispiel
… schwer jugendgefährdende Filme … die … Menschen, die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellen* …
eigentlich überhaupt keine Jugendfreigabe erhalten. Gerade solche Filme finden sich aber in Fritzens Liste mehrfach.
Auch nicht besser für Heranwachsende geeignet: Deutsche Märchen und Sagen (siehe Geiernotiz vom 12. 1. 10).
* Grundsätze der FSK, 19. Fassung 2008
Nachtrag 25. Oktober 2011: Weiter mit Hurerei, Drogen, Blut und Occultismus — Florentine Fritzen hat nach einem Jahr nachgesehen, ob sich etwas zum besseren gewendet hat mit der FSK. Ihr Fazit: Wenn überhaupt, dann quantitativ. Wenigstens ein Drittel der freigegebenen Filme sind nach wie vor für Zwölfjährige völlig ungeeignet.