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Vergessenes Lehrstück: Die »Lateinische Münzunion«


By Geier - Posted on 09 Februar 2013

9. Februar 2013

 

Aus der Geschichte kann man lernen, daß der Mensch aus der Geschichte nichts lernt. Während viele Europäer heute die Frage nach der künftigen Stabilität des europäischen Währungsverbundes umtreibt, ist beinahe völlig aus dem Blick geraten, daß mit dem Euro ja durchaus nicht die erste neuzeitliche Währungsunion in Europa begründet wurde. Schon ab 1865 hatte es mit der »Union monétaire latine« eine Währungsunion gegeben, die mit Frankreich, Belgien, Italien, der Schweiz und Griechenland einen großen Bereich des europäischen Festlandes vereinigte. Großbritannien und Preußen blieben auf Distanz: Daß hier Länder einerseits in einer Währungsunion zusammenfanden, die andererseits weiterhin durch eigene Zentralbanken die Geldmenge jeweils souverän steuern konnten, war ein gewagtes Konstrukt, dem sie wenig abgewinnen konnten. Trotzdem übernahm nach und nach ein knappes Dutzend weiterer Länder faktisch den Standard der Union, ohne dem Vertrag förmlich beizutreten. Dies war möglich, weil die Währungen der teilnehmenden Länder ihre historischen Bezeichnungen beibehielten; sie waren jedoch durch einen normierten Gold- bzw. Silbergehalt der Münzen wertgleich und damit frei tauschbar. Sogar Belgisch-Kongo war zeitweise offizielles Mitglied.

Erstaunlich ist, daß die Lateinische Münzunion heute so wenig öffentliche Beachtung findet, gibt es bei aller Unterschiedlichkeit doch interessante und lehrreiche Parallelen zur derzeitigen europäischen Währungsgemeinschaft.

Schon damals wurde die Währungsunion als ökonomischer Hebel angesehen, mittelfristig eine politische Union in Europa voranzutreiben: Die imperialen Pläne, an denen Napoleon Bonaparte grandios gescheitert war, wurden nun von Napoleon III. mit finanzwirtschaftlichen Mitteln weiterverfolgt. Fernziel seiner machtpolitischen Hybris war ein einheitliches Weltgeld.

Auch das Nord-Süd-Gefälle in der Finanzdisziplin der Staaten ist kein Novum: Die Griechen (wie übrigens auch die Italiener) nutzten eine Regelungslücke aus, um unkontrolliert Geld zu drucken und destabilisierten dadurch den Geldwert im gesamten Wirtschaftsraum der Union, weshalb Griechenland 1908 aus der Währungsunion ausgeschlossen wurde. Die Südeuropäer hatten sich zunutze gemacht, daß die Münzunion nur den Metallgehalt von Münzgeld festlegte. Papiergeld hatte man 1865 von jeder Regulierung ausgenommen, da Banknoten damals noch gar nicht als »richtiges« Geld angesehen wurden, sondern als Schuldscheine der emittierenden Notenbank, die jederzeit entsprechend ihrem Nennwert in Gold oder Silber eingelöst werden konnten. Da diese Papiere aber im Zahlungsverkehr kursierten und faktisch als Geld akzeptiert wurden, konnte sich Griechenland durch Ausweitung ihrer Menge Geld beschaffen, ohne tatsächlich Gold oder Silber für Münzen einsetzen zu müssen: Eine Geldschöpfung aus dem Nichts, wie sie heute selbstverständlich scheint, damals aber durchaus noch als krimineller Akt erkannt wurde. Dieses zusätzliche Geld, da ihm kein Realwert gegenüberstand, »verdünnte« den Wert des Geldes aller Mitgliedsstaaten der Union und heizte die Inflation auch in Ländern mit solider Finanzpolitik an. Während Griechenland sich nur drei Jahre nach dem Staatsbankrott von 1893 für Prestigeobjekte wie die ersten neuzeitlichen Olympischen Spiele von 1896 verschuldete, mußten Frankreich und Belgien schließlich die Staatsschulden von Griechenland und Italien mittragen.

Der amerikanische Finanzexperte Henry Parker Willis kommentierte 1901: »In keiner Hinsicht ist Griechenland ein wünschenswertes Mitglied der Union. Wirtschaftlich instabil, erschüttert von politischen Auseinandersetzungen und finanziell korrupt, ist seine Verfassung bedauernswert.« Aber auch damals wurde den politischen Wünschen ein größeres Gewicht beigemessen als der ökonomischen Vernunft.

Todesstoß der Münzunion war schließlich der gigantische Geldbedarf für die Finanzierung des Ersten Weltkrieges: Bis auf die Schweiz verwässerten nun auch die anderen Mitgliedsländer der Union den Geldwert. Wenn heute behauptet wird, daß der Euro ein »alternativloses« Instrument der europäischen Friedensordnung sei, an dem deshalb um jeden Preis festgehalten werden müsse, so ist dies eine bemerkenswert ahistorische Sicht der Dinge. Schließlich hat nicht der Zusammenbruch der Münzunion damals den europäischen Krieg bewirkt, sondern im Gegenteil die wirtschaftlichen Verwerfungen des Krieges die Einheitswährung zerstört.

Die Agonie der Münzunion zog sich allerdings noch lange hin. Durch politische Interventionen wurde sie formal noch bis 1926 künstlich am Leben gehalten, obwohl aus ökonomischer Sicht schon Jahrzehnte zuvor offensichtlich war, daß sie nicht auf Dauer bestehen konnte. Eine Lehre kann man aus der Geschichte jedenfalls ziehen: Politischer Wille mag sich zeitweise über wirtschaftliche Vernunft erheben, am Ende triumphiert aber doch die schiere Mathematik.

 

 

 

 

 

Dieser Artikel ist auch in der »factum« 1/13 erschienen.


 

 


Abb.: 20 Schweizer Franken, 20 Jugoslawische Dinar aus der Zeit der Münzunion

Photos: D. J. Müller, GNU Free Documentation License

 

 

 

 

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