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Plato oder Bibel?
23. August 2011
Wer regelmäßig Geiernotizen liest, ist hier sicherlich schon an den einen oder anderen Artikel geraten, der staatlichen Bemühungen zur Vergesellschaftung der Erziehung nachgegangen ist. Weniger beleuchtet habe ich bisher, daß auch Denominationen[G] dazu neigen, Eltern die Erziehungsarbeit »abzunehmen« und dadurch Einfluß auf die nächste Generation zu gewinnen. Nun ist dies eigentlich auch nicht isoliert zu betrachten, sondern im Zusammenhang mit der Zerlegung der Herausgerufenen[G] in allerlei Partikularstrukturen. So gibt es separate institutionalisierte Treffen für alle Altersgruppen — abgestuft buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre — aber auch für Männer, für Frauen, für Paare, für Alleinstehende, junge Eltern, für Behinderte und so weiter; sicher nicht jeden einzelnen Partikularkreis an jedem Ort, zumindest aber die obligatorischen Jugendkreise. Die originäre Aufgabe der Herausgerufenen, Angehörige aller Generationen, Rassen und Stände in dem Christos zu einem Leib zu formen, wird aber unterlaufen, wenn sie dieserart in Interessengruppen aufgespalten wird. Denn das Verbindende der jeweiligen Gruppen ist ja, daß sie durch ihre Homogenität eine möglichst hohe Übereinstimmung der persönlichen Interessen suchen. Statt um geistliche Einheit in menschlicher Verschiedenartigkeit zu ringen, wird die bequeme Abkürzung gewählt und durch Auswahl ähnlicher Interessen eine Einheit im Fleisch gesucht.
Privatinteressen haben aber in der Herausgerufenen gar nichts zu suchen; sie stehen jedem geistlichen Wachstum im Wege. Wer sein Eigenleben pflegt, statt es anzupfahlen[G], wirkt dem Evangelium entgegen.
Noch bis zum 15. September kann man sich im Netz eine etwa einstündige Dokumentation ansehen, die dieses Problem — hauptsächlich in Bezug auf die evangelikale Jugendarbeit — zum Thema hat. Leider ist der Film nur englisch verfügbar, leider scheint er ein commerzielles Projekt zu sein, das auf Verkauf und Spendeneinnahmen zielt. Aber trotzdem enthält er eine Menge richtiger und bedenkenswerter Gedanken und beschreibt das Dilemma (frei)kirchlicher Jugendarbeit recht gut. Denn daß die Herausgerufene durch Installation von Interessengruppen zerteilt wird, ist nur ein Teil des Problems. Solche Gruppen höhlen nicht nur die Bedeutung der Herausgerufenen aus, sie greifen auch unzulässig in die Hoheit der Familie, des Oikos[G] ein.
Besonders die Kinder- und Jugendarbeit krankt häufig daran, daß weltliche Konzepte (zum Beispiel im Bereich der Musik) kopiert werden, um die »Attraktivität« zu fördern. Ein Attraktivitätswettbewerb mit der Welt ist aber nicht zu gewinnen. Das Original ist im Zweifelsfall immer interessanter als eine (zudem religiös überfrachtete) Kopie. Statt einen Gegenentwurf zu leben, paßt man sich der Welt an, indem man auf Unterhaltung und Bespaßung setzt. Frucht wird so aber nicht bewirkt, wer ins Fleisch sät, kann nichts geistliches ernten (Gal. 6, 8).
Ein weiteres Problem ist, daß die biblische Unterweisung des Nachwuchses aus den Familien herausgezogen und Professionellen in die Hände gelegt wird. Das klerikale Gemeindeschema wird damit den Heranwachsenden von Anbeginn eingeimpft. Boyd Dellinger, ein ehemaliger Jugendpastor sagt:
I look back and realise: I believe that I did more harm to families than I ever imagined … I was usurping the authority of parents, especially fathers, by having their children’s hearts turned towards me — with their permission.
(Ich denke, ich habe mehr Schaden in den Familien angerichtet, als ich mir überhaupt vorstellen konnte. Ich habe mir die Autorität von Eltern, besonders von Vätern, angeeignet, indem ich die Herzen ihrer Kinder zu mir gezogen habe — mit deren Erlaubnis.)
Während Gott das Ziel verfolgt, »das Herz der Väter zu den Kindern und das Herz der Kinder zu ihren Vätern zu wenden«, ist es oft genug die »christliche« Kinder- und Jugendarbeit, die eine illegitime Konkurrenz zur väterlichen Autorität aufbaut. Eine biblisch ausgerichtete Kinder-und Jugendarbeit müßte also, statt sich direkt an die Heranwachsenden zu richten, in erster Linie darauf ausgerichtet sein, die Väter auszurüsten, Hirten für ihre Häuser zu sein.
Interessant ist auch der Excurs zu den ideologischen und historischen Wurzeln der Separation der Heranwachsenden. Man kann diese Idee auf Plato und Rousseau zurückführen, nicht aber auf die Bibel. Christliche Gemeinschaften lassen sich auf die selben ideologischen Muster ein wie moderne Staaten, wenn sie Eltern gegenüber zum Ausdruck bringen, daß sie deren Kinder besser erziehen könnten als diese selbst. Sie wildern in dem Autoritätsbereich, den Gott den Eltern übertragen hat, oft genug mit besten Absichten und in schierer Ignoranz gegenüber dem biblischen Muster, mitunter aber auch durchaus bewußt und zielgerichtet.
Präsentiert wird der Film vom »National Center for Family-Integrated Churches« (Nationales Centrum für familienintegrierte Gemeinden), das sich für gemeinsame Versammlungen aller Alters- und Sozialgruppen einsetzt.
Siehe auch Rezension bei Distomos.