Zahl des Tages II

29. Januar 2013

 

150.000

Etwa 150.000 Patienten werden jährlich in Deutschland gegen ihren Willen stationär psychiatrisch behandelt. Der Bundestag hat letzte Woche ein Gesetz beschlossen, das nun auch Zwangsmedikation (wieder) legalisiert. Indikationen für die Zwangsbehandlung wie etwa »mangelnde Krankheitseinsicht« sind aber einigermaßen irrelevant, da die Definition, welche Abweichung von der Bandbreite menschlicher Verschiedenartigkeit überhaupt als krankhaft anzusehen ist, schon im organischen Bereich nicht immer eindeutig ist, im psychischen Bereich aber geradezu zu Willkür und Mißbrauch einlädt.

Daß der beschlossene Richtervorbehalt kein ausreichender Schutz ist, weil Richter in der Regel auf den (tatsächlichen oder vermuteten) Sachverstand der ärztlichen Gutachter vertrauen, die wiederum wirtschaftlich interessiert sind, hat beispielhaft der Fall von Melissa Busekros gezeigt, die auf Betreiben des Jugendamtes völlig gesund zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen und vor ihren Eltern versteckt wurde, bis ihr schließlich die Flucht gelang. Als krankhafte Normabweichung war ihr zum Beispiel angerechnet worden, daß sie kein rebellischer Teenager war, sondern ein gutes, loyales Verhältnis zu ihren Eltern hatte. Daß in dieser Gesellschaft das Gute als das Un-Normale gilt, weil die Norm systematisch verschoben wurde, erstaunt ja kaum noch, daß Normabweichung zunehmend hospitalisiert wird und nun auch noch zu Zwangssedation führen kann, ist kein angenehmer Gedanke. Melissas Glück war schließlich, daß ihr Fall internationales Medieninteresse ausgelöst hatte, so daß sie nach ihrer Flucht nicht weiter verfolgt wurde.

Informationen zur neuen Rechtslage finden sich z. B. hier, hier und hier.