Sie befinden sich hierKleine Zeitungsschau IV: Der ganz alltägliche Wahnsinn
Kleine Zeitungsschau IV: Der ganz alltägliche Wahnsinn
19. Mai 2011
Deutschland hat achthundert weibliche Gleichstellungsbeauftragte — und zwei männliche. Daß Frauenquoten gefordert (und auch durchgesetzt) werden für politische Ämter, Vorstandsposten und dergleichen, aber nicht für die Arbeit bei der Müllabfuhr, beim Minenräumen oder im Salzbergwerk, scheint allgemein gesellschaftlich akzeptiert zu sein, so sehr, daß sich nicht einmal jemand die Mühe machen muß, dafür irgendwelche fadenscheinigen Begründungen zu erfinden. Man geht einfach darüber hinweg, ohne solche Fragen auch nur zu formulieren. Wie ernst es der deutschen Gleichstellungsindustrie um tatsächliche Gleichstellung sein kann, wenn vierhundert mal mehr weibliche als männliche Gleichstellungsbeauftragte unterwegs sind, scheint erst recht keines Beweises zu bedürfen. Die Stadt Goslar hat ihn trotzdem geliefert: Gestern hat der Stadtrat auf Antrag der Genossen von der SED die Gleichstellungsbeauftragte Monika Ebeling gefeuert, weil sie ihren Job ernstgenommen und tatsächlich Gleichstellungspolitik statt Radikalfeminismus getrieben hat. Über die Gründe, die zum Bruch geführt haben, sagt sie zum Beispiel:
Letztes Jahr gab es eine Ausstellung mit dem Titel »Gegengewalt in Paarbeziehungen«. Das Handbuch dazu war nicht gendergerecht, da es bei Berufsbezeichnungen zwar die männliche und weibliche Form gab, aber Täterbezeichnungen konsequent männlich waren. Die Frau ist das Opfer, der Mann der Täter. Das ist doch ein Vorurteil, und darauf habe ich aufmerksam gemacht.
Tatsächlich ist Stand der Wissenschaft, daß die Gewaltneigung in Paarbeziehungen gleichmäßig auf die Geschlechter verteilt ist. Deshalb meldete Frau Ebeling auch Bedenken an, als anläßlich einer Kinderschutzwoche im September 2010 Brötchentüten mit dem Spruch bedruckt wurden: »Gewalt an Frauen und Kindern kommt nicht in die Tüte« und forderte eine sachgerechte geschlechtsneutrale Formulierung. Ausgerechnet die Feministennetzwerkerinnen, die sonst am liebsten noch von Kinderinnen und Kindern sprechen würden, fanden es nun gar nicht lustig, daß eine Gleichstellungsbeauftragte auch Täterinnen und Täter »durchgendern« und damit die Grundfesten ihrer kleinen, aber übersichtlichen Welt erschüttern wollte, in der Männer immer Täter und Frauen immer Opfer sind.
——————————————————————
Die Evangelische Kirche hat wieder allen den Wind aus den Segeln genommen, die meinten, sie könne gar nicht mehr tiefer sinken. Sie kann. Im Rheinland kollaboriert sie eng mit der Katholischen Kirche bei der Vorbereitung und Durchführung der »Heilig-Rock-Wallfahrt« 2012 in Trier. Luther hatte dieses Spectaculum noch als »verführlich, lügenhaft und schändlich Narrenspiel« bezeichnet. Der sogenannte Heilige Rock ist eine mittelalterliche Reliquie, ein Gewand, das als »Tunika Christi« verehrt wird. Er wurde im 12. Jahrhundert »entdeckt«, just, als das Bistum Trier eine bedeutende Reliquie benötigte, um die konkurrierende Abtei Prüm auszustechen, die behauptet, die »Sandalen Christi« zu besitzen.
——————————————————————
Die Hohe Kunst des Qualitätsjournalismus besteht darin, dreist zu lügen, ohne formal etwas falsches zu sagen. Die Hohe Kunst des Bloggens besteht darin, dies zu kommentieren:
Anläßlich des sogenannten »Nakba«-Tages schreibt FAZ.net als Unterschrift zu einem Bild, das Knaben im Schulanfängeralter in Uniform, mit Pali-Feudel und Plastikgewehren zeigt:
»15. Mai 2011 · Waffenfest · Palästinensische Kinder nehmen mit Spielzeugmaschinengewehren an einem Umzug teil, mit dem am 15. Mai an den Tag der Nakba (Katastrophe) erinnert wird. Es ist der Gedenktag an Flucht und Vertreibung Hunderttausender Araber aus dem historischen Palästina nach der israelischen Staatsgründung von 1948.«
In der Printausgabe schreibt Hans-Christian Rößler:
»Bei gewaltsamen Protesten am ›Nakba‹-Tag, an dem die Palästinenser der Flucht und Vertreibung nach der Gründung Israels am 15. Mai 1948 gedenken, sind am Sonntag mehrere Menschen ums Leben gekommen und zahlreiche Demonstranten verletzt worden.«
Zwei Tage später schreibt Wolfgang Günther Lerch in der selben Zeitung:
»Der Unabhängigkeitstag Israels ist für die Palästinenser der Tag der „Nakba“, der großen Katastrophe, an dem sie der Flucht und Vertreibung von etwa 750.000 Arabern gedenken.«
Das gemeinsame Muster dieser Sätze ist folgendes: Durch Verknüpfung der Begriffe »Gründung Israels« und »Vertreibung« entsteht beim Leser nahezu zwangsläufig der Eindruck, daß die Staatsgründung ursächlich für die Vertreibung gewesen wäre, so als ob Israel nach Staatsgründung nichts besseres zu tun gehabt hätte, als sich sofort seiner arabischen Einwohner zu entledigen. Das steht nun nicht direkt so da, sonst wäre es ja offen gelogen, aber trotzdem versteht man diese Sätze automatisch so. Von der historischen Wahrheit ist diese Aussage jedoch weit entfernt.
Tatsächlich sind in der Nacht nach der Staatsgründung sechs arabische Staaten ohne Kriegserklärung in Israel einmarschiert um mit Unterstützung der israelischen Araber den jungen Staat und seine jüdische Bevölkerung zu vernichten. Daß sie sich dabei trotz erdrückender Übermacht eine blutige Nase geholt haben, ist die Ursache für die hernach einsetzende Fluchtbewegung vieler Araber, der wir die heutige Situation im Nahen Osten zu verdanken haben. Paradoxerweise erfreuen sich die Araber, die in Israel geblieben sind, heute ihrer Bürgerrechte, während diese denjenigen, die nach ihrer Niederlage in die arabischen Länder geflohen sind, bis jetzt weitgehend vorenthalten werden. Sie werden von ihren arabischen Brüdern nicht in deren Gesellschaften integriert, weil man das Flüchtlingsproblem als Faustpfand gegen Israel conservieren will. Hätten die Araber damals den UN-Teilungsplan anerkannt, hätten sie ihren (neben Jordanien) zweiten arabischen Staat auf israelischem Gebiet schon 1948 haben können. Stattdessen haben sie auf die Vernichtung der Juden in Israel gesetzt und zu hoch gepokert. Das ist aber ein selbstgewähltes Elend. Daß diese Araber, die sich seit den sechziger Jahren »Palästinenser« nennen und nun gar ein »palästinensisches Volk« darstellen wollen, bis heute gewaltsam für eine Rückkehr kämpfen, ist genauso, als wenn ich als Sohn eines Schlesiers am Wochenende aus den sächsischen Wäldern selbstgebaute Kassem-Raketen über die Neiße feuern würde, um die Rückgabe Schlesiens zu erpressen, und ich werde dies auch künftig nicht tun, auch wenn mich durchaus die Reaktionen derjenigen interessieren würden, die heute in Europa so vehement für eine Rückkehr der »Palästinenser« eintreten. Bestimmt hätten sie großes Verständnis.
Natürlich ist es nicht falsch, daß »Flucht und Vertreibung nach der Gründung Israels« stattgefunden haben. Aber eben auch nach Völkerwanderung, nach Erfindung der Dampfmaschine und nach dem Untergang der Titanic. So what? Ursächlich waren diese Geschehnisse alle nicht, nur eben früher terminiert, Ursache aber war der gescheiterte Vernichtungskrieg der Araber gegen Israel.
Selbstverständlich funktioniert das Prinzip der Verknüpfung von Begriffen zum Erwecken des Eindrucks, sie würden kausal zusammenhängen, auch mit anderen Themen.
Dazu wieder FAZ.net:
Hier wird der falsche Eindruck erweckt, daß die Lieferschwierigkeiten der japanischen Industrie nicht Folge des Bebens und des Tsunamis wären, sondern des Nuclearunfalles. Nach Leserbeschwerden wurde »Atomkatastrophe« schließlich durch »Naturkatastrophe« ersetzt.
Noch deutlicher wird die Sache bei ARD Videotext vom 21. März:
Hier werden durch den Aufbau der Meldung eben mal die Toten von Erdbeben und Tsunami dem Reaktorunfall zugerechnet. Der Cynismus, mit dem die deutsche Presse zehntausende Opfer der Naturkatastrophe nahezu ignoriert und gleichzeitig den Reaktorunfall einseitig »hochgeschrieben« hat, ist im Ausland ohnehin mit Befremden aufgenommen worden. Die ARD-Meldung wäre der traurige Gipfel dieser Art von Berichterstattung, wenn es nicht noch mehr gleichartige Formulierungswunder im Blätterwald gegeben hätte.
Es ist ein bemerkenswertes Zeichen der Globalisierung, wenn in Japan die Erde bebt und in Baden-Württemberg die Lichter ausgehen, aber letztlich war es nicht nur das Beben selbst, sondern auch solcherlei Japanberichterstattung, die dazu beigetragen hat, in Baden-Württemberg einem Altkommunisten den Weg ins Amt des Ministerpräsidenten zu ebnen, was nahtlos zum nächsten Beitrag überleitet.
——————————————————————
Denn wenn selbst die politisch korrekte F.A.Z. das Wort »Ökodiktatur« benutzt, muß es schlimm stehen um Deutschland. Mit der Information, daß in Baden-Württemberg jetzt mit Genossen Kretschmann ein ehemaliges aktives Mitglied des maoistischen »Kommunistischen Bundes Westdeutschlands« Ministerpräsident ist, wird der Zeitungsleser freilich kaum belästigt. Es darf vermutet werden, daß das Medieninteresse etwas lebhafter wäre, wenn die CDU ein ehemaliges NPD-Mitglied in einen Ministerpräsidentenposten hieven würde — oder auch nur als Dorfbürgermeister kandidieren ließe.
Immerhin erfahren wir aber, daß sich Kretschmann vom Bundes-Chefklimaideologen Schellnhuber ein Papier zuarbeiten ließ, das »Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation« heißt und die These vertritt, daß »die Transformation zur Klimaverträglichkeit moralisch ebenso geboten [sei] wie die Abschaffung der Sklaverei und die Ächtung der Kinderarbeit«, und fordert, auf Kernenergie und Kohle gleichzeitig zu verzichten. Ganz schweres demagogisches Geschütz also, und den jüngeren Lesern sei verraten, daß man einen »Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation« früher noch den »Großen Sprung nach vorn« genannt hat. Das war 1958 bis 1961 in China und hat dazu geführt, daß — je nach Schätzung — zwischen 36 und 45 Millionen Menschen verhungerten. Die Parallelen zwischen der »Großen Transformation« und dem »Großen Sprung« erschöpfen sich freilich nicht in der Begrifflichkeit. Auch damals hat sich die Politik über die wirtschaftlichen und technologischen Möglichkeiten, ja selbst über die Naturgesetze hinweggesetzt und einem großen Land mit Gewalt Ziele verordnet, die fern jeglicher realistischen Erwartbarkeit lagen und weite Teile der Volkswirtschaft ruinierten. Auch damals hat man mutwillig in ein Ökosystem eingegriffen, ohne dessen komplexen Aufbau wirklich verstanden zu haben und hat es auf Jahrzehnte hinaus geschädigt. In der Spatzencampagne hat man Milliarden Sperlinge umgebracht, damit diese keine Körner mehr fressen könnten. Stattdessen haben dann aber die Insekten, die sich ungebremst vermehren konnten, nachdem sie nun keine Freßfeinde mehr hatten, viel größere Teile der Ernten vernichtet. Heute sind es nicht die Spatzen, sondern das Kohlendioxid, das man als »Volksschädling« enttarnt zu haben meint, ohne daß der Zusammenhang von Co2-Konzentration und Klimaentwicklung wirklich als wissenschaftlich verstanden bezeichnet werden könnte, auch wenn Ideologen wie Schellnhuber nicht müde werden, uns genau dies einzureden. Und wieder wird mit gigantischem Aufwand eine ganze Volkswirtschaft umgebaut, um in einem System herumzurühren, das man mangels Verständnis gar nicht steuern kann. Es ist, als wolle ein Dreijähriger mittels eines Holzhammers einen Computer reparieren. Man hat damals in China auch zehntausende Häuser abgerissen, um Lehm und Stroh, die als Baumaterialien gedient hatten, als Dünger auf die Felder zu werfen. Und auch heute werden funktionierende Teile des wirtschaftlichen Volksvermögens stillgelegt, um den »grünen Umbau« voranzutreiben. Dabei muß es diesmal zwar nicht zwangsläufig zu Millionen Hungertoten kommen. Die Folgen, wenn in einem bitterkalten Industrieland wie Deutschland die Energieversorgung (zeitweise) zusammenbricht, werden aber auch vielen Wählern nicht gefallen, die jetzt noch ganz begeistert sind vom »grünen Deutschland«.