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Echte Chuzpe*
9. Dezember 2010
Das ist dreist: Ausgerechnet das (zumindest partielle) Scheitern der deutschen Staatsschule, das sich in den neuen PISA-Ergebnissen spiegelt, nehmen die Bildungssozialisten Thomas Oppermann (SPD) und Cem Özdemir (Grüne) zum Anlaß, noch mehr Staatsschule zu fordern. Das erinnert mich doch stark an den Alkoholiker, der sich erst mal einen tiefen Schluck aus der Flasche gönnt, um die Übelkeit zu vergessen, die der Vortagesrausch zurückgelassen hat. Sie fordern die »Ganztagsschule als Regelschule«, was natürlich ein ungleich schöneres Wort ist als »Ganztagszwangsschule«. Notfalls will man, um diesen Wunschtraum sozialistischer Bildungspolitik zu verwirklichen, auch Hindernisse beiseiteräumen, die das Grundgesetz bisher noch in den Weg stellt.
Wenigstens kann sich die Heimschulfamilie Dudek über einen relativ anständigen Artikel von Krista Kapralos in der gestrigen F.A.Z. freuen, der die Lage der Heimschüler frei von Polemik beschreibt. Es bleibt aber immer noch schwer verständlich, weshalb Deutschland nach wie vor derart verbissen an einem Gesetz von 1938 festhält, das nicht Bildung vorschreibt, sondern Anwesenheit in der öffentlichen Schule und das damals ganz klar mit der Zielsetzung der Gleichschaltung der Kinder im nationalsozialistischen Sinne erlassen wurde. Einer mündigen Bürgergesellschaft ist dieses Gesetz jedenfalls unwürdig, und die absurden Auswirkungen sind ja auch offensichtlich: Ausgerechnet solche hochanständigen Leistungsträger wie eben z. B. die Dudeks werden kriminalisiert, vorbildliche Staatsbürger, die nicht von Sozialtransfers, sondern Arbeit leben, die Kinder zeugen und erziehen und zusätzlich aus Gewissensgründen auch noch deren Bildungslasten selbst tragen, stehen auf einmal als Gesetzesbrecher da. Eigentlich wäre das aber genau die »Sorte« Leute, von der wir ganz dringend mehr brauchten, wenn diese Gesellschaft, die durch Selbstsucht und Hedonismus immer mehr zerfällt, uns nicht ganz und gar um die Ohren fliegen soll. Was es für die Kinder bedeutet, wenn die anständige Art ihrer Eltern von der Gesellschaft nicht nur nicht honoriert, sondern sogar bestraft wird, kann man nur anhand einzelner Beispiele ermessen, man denke nur an die Zwangspsychiatrisierung der völlig gesunden Melissa Busekros in Erlangen oder an die Achtjährige in Salzkotten, deren Vater für 40 Tage in Haft mußte, nachdem sie an einem Theaterstück in der Schule nicht teilgenommen hatte: »Was, so lange muß der Papa wegbleiben, wegen einer Theateraufführung?«
Wohin es führt, wenn man der Politik gewährt, Kinder mehr und mehr als Staatseigentum zu reclamieren, berichtet der Zeltmacher aus Schweden: Hier werden gnadenlos Familien zerschlagen, wenn die Eltern die staatlichen Erziehungsvorgaben nicht teilen. Und hier zeigt sich auch wieder eine Gemeinsamkeit der Sozialismen: Der nationale Sozialismus 1938 in Deutschland, der Volksheim-Sozialismus der Schweden, der Bolschewismus der Sowjetunion, der Eurosozialismus der Neuzeit: Sie alle wollen möglichst zeitig und intensiv Einfluß auf die Kinder nehmen, da sie dem Wahn verfallen sind, daß Kinder in staatlicher Obhut besser aufgehoben seien als in elterlicher — und um die Kinder früh in das jeweilige ideologische Corsett zwängen zu können.
* Chuzpe [xʊtspə] aus dem jiddischen חוצפה [chùtzpe] von hebräisch חצפה [chuzpà] für »Frechheit, Dreistigkeit, Unverschämtheit«.