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Robert Saint John — Die Sprache der Propheten
12. September 2009
Die Lebensgeschichte des Elieser Ben Jehuda, des Schöpfers der neuhebräischen Sprache
Bleicher Verlag, 1985
ISBN-10: 3883504262
ISBN-13: 978-3883504261
Gerade habe ich das Buch »Die Sprache der Propheten« von Robert Saint John gelesen, das die Lebensgeschichte von Elieser Ben Jehuda erzählt. Außerhalb von Israel ist Ben Jehuda kaum bekannt, und doch ist durch seine maßgebliche Beteiligung eines der größten Wunder der Neuzeit geschehen: Die Wiederbelebung der hebräischen Sprache.
Jahrtausendelang war das Hebräische eine reine Synagogalsprache; die Torah und die Propheten wurden hebräisch gelesen, aber die Alltagssprache der Juden war das mit dem Mittelhochdeutschen verwandte Jiddische, das romanische Ladino oder einfach die Sprachen der Völker, unter die die Juden infolge ihrer Vertreibung nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer geraten waren.
Ben Jehuda wurde als Elieser Jizchak Perlman 1858 in einem Dorf auf heute litauischem Gebiet geboren, damals zum Russischen Reich gehörig. Wie viele Juden, die in Osteuropa (und nicht nur dort) erleben mußten, daß sie als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden, entwickelte er sich zum Zionisten. Allerdings war er einer der wenigen Zionisten, die erkannten, daß die Wiedergeburt der jüdischen Nation im Land ihrer Väter nur gelingen konnte, wenn sie auch eine gemeinsame Sprache sprechen würden. Zunächst sprach wenig dafür, daß er zur Verwirklichung dieses Zieles viel beitragen könne: Bereits als Student war er todkrank. Die Tuberkulose schien ihm nur noch wenig Zeit und Kraft zu lassen.
Außerdem stand er mit seinem Anliegen, der Wiederbelebung des Hebräischen als Alltagssprache, selbst unter Juden weitgehend isoliert da. Orthodoxe Juden betrachteten es als eine Entweihung dieser heiligen Sprache, wenn sie für profanen Alltagsgebrauch angepaßt würde. Deutsche und englische zionistische Organisationen, die Schulen in der damals von der Türkei verwalteten Provinz Palästina unterhielten, wollten, daß dort die Unterrichtssprachen Deutsch bzw. Englisch seien. Die Türken waren schließlich argwöhnisch gegenüber allem, was die jüdischen Bestrebungen nach einem eigenen Staat fördern könnte, und hielten Ben Jehuda für ein Jahr in Haft. Solange er lebte, mußte Ben Jehuda sich trotz seiner schwachen Konstitution mit Angriffen auf seine Arbeit auseinandersetzen, die aus allen denkbaren Richtungen kamen.
Vor diesem Hintergrund ist es außerordentlich, was für eine gigantische Lebensleistung er hinterließ. Die Herausgabe eines neuhebräischen Wörterbuches verlangte ausgedehnte Reisen, um in verschiedenen europäischen Bibliotheken nach verschollenen Wörtern zu suchen — und immer wieder auch, um Geld einzuwerben, das die weitere Arbeit ermöglichen sollte. Neue Wörter für Begriffe wie Fahrrad oder Eiscreme, die dem Althebräischen noch unbekannt waren, wurden nicht einfach erfunden, sondern möglichst aus vorhandenen Stämmen gebildet. Durch eine hebräische Zeitung, die Ben Jehuda von Jerusalem aus herausgab, wurden diese Worte den neuen Siedlern bekanntgemacht. Anfangs sprach nur eine verschwindende Minderheit der heimgekehrten Juden im Alltag Hebräisch, und es kostete eine unvorstellbare Überzeugungsarbeit, diese Sprache schrittweise als Unterrichts- und Alltagssprache zu verankern.
Trotz aller Widerstände war seine Arbeit aber auch reich gesegnet. Letztlich unterstützte ihn selbst Baron Rothschild, ein erklärter Gegner der zionistischen Bestrebungen Ben Jehudas, viele Jahre lang finanziell. Auch seine Frauen stützten seinen Dienst vorbildlich in selbstloser Weise. Seine erste Frau Deborah starb 1891 an Tuberkulose, später heiratete er deren Schwester Hemda. Obwohl russischsprachig aufgewachsen, durften sie mit den Kindern kein Wort in einer anderen Sprache als Hebräisch sprechen. Nach Jahrtausenden war das Haus Ben Jehuda das erste völlig hebräischsprachige. Dies war nur sehr schwer durchzuhalten in einer Umgebung, die noch kaum Hebräisch sprach, und doch war gerade der Erfolg dieses »Selbstversuches« von großer Wichtigkeit, um Kritiker davon überzeugen zu können, daß das Hebräische als Alltagssprache funktionierte. Er wäre an seiner Lebensaufgabe unweigerlich gescheitert, wenn ihm Deborah und Hemda nicht in so großartiger Weise beigestanden hätten. Ihre Haltung hat mich sehr an Spr. 31, 10ff erinnert. So konnte Ben Jehuda trotz seiner kränklichen Verfassung bis zu 18 Stunden am Tag an dieser großen Aufgabe arbeiten. Er galt nicht als sonderlich fromm im orthodoxen Sinne, aber er diente treu in dem, was er als richtig erkannt hatte.
Elieser Ben Jehuda hat die Staatsgründung Israels nicht mehr erlebt. Aber kurz vor seinem Tod im Jahr 1922 gelang es ihm noch, Herbert Samuel, den Hochkommissar des britischen Mandats für Palästina, davon zu überzeugen, Hebräisch neben Arabisch und Englisch zur offiziellen Amtssprache zu erheben.
Gern würde ich das Buch zum Lesen empfehlen, leider ist es bis auf ein paar mehr oder weniger überteuerte antiquarische Exemplare bei Abebooks und bei ZVAB vergriffen.*
Geiertip: Im »Beit Ben Yehuda«, dem ehemaligen Wohnhaus der Familie, kann man auch heute noch Hebräischkurse mit Unterbringung im angebauten Gästehaus belegen. Auf der Netzseite des Hauses findet sich auch ein kurzer Artikel zu Ben Jehudas Biographie, ein weiterer interessanter Artikel zum Thema findet sich hier.
Nachtrag 12. 2. 11: Zum Beispiel Kompost — Die Akademie für Hebräische Sprache sucht für einige Begriffe weiter nach neuen hebräischen Wörtern.
*Nachtrag 19. 9. 11: Gerade erreicht mich die Nachricht eines Lesers, der darauf hinweist, daß es doch wieder eine Bezugsquelle für das Buch gibt. Die ISBN dieser Auflage ist die 9-783981-066210.
Abb.: Elieser Ben Jehuda mit seiner Frau Hemda
Urheber unbekannt