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Trügerische Waagschalen · Teil II


By Geier - Posted on 16 März 2013

16. März 2013

 

»Waagschalen des Trugs sind Jahweh ein Greuel, aber ein vollkommener Gewichtsstein findet sein Wohlgefallen.« (Spr. 11, 1) 

Ein ehrlicher Handel sollte immer zu einem fairen Interessenausgleich zwischen Käufer und Verkäufer führen. Seit Waren und Geld getauscht werden, hat es aber immer wieder Händler gegeben, die das ausgehandelte Gleichgewicht möglichst unbemerkt zu ihren Gunsten verschieben wollten. Ein Kaufmann, der den Gewichtsstein der Waage nur ein wenig leichter macht, als er sein müßte, liefert jedem Kunden eine unauffällige Mindermenge aus, insgesamt profitiert er aber sehr viel.

Das alttestamentliche Gesetz verbietet Manipulationen an Längen-, Volumen- und Gewichtsmaßen ausdrücklich: »Nicht tut ihr Arg in der Richtigung[G], im (Längen-)Maß, im Gewicht und im Meßgefäß.
Waagschalen der Gerechtigkeit, Gewichtssteine der Gerechtigkeit, Ejphah* der Gerechtigkeit und Hin* der Gerechtigkeit sollt ihr haben. Ich bin Jahweh, euer Elohim, der ich euch herausgehengemacht hat aus dem Erdland Mizrajim.«
(3. M. 19, 35f)
. Denn anders als bei einem Gelegenheitsdieb ist das ganze Handeln des Gewichtsfälschers betrügerisch. Den größten Schaden richtet er dadurch an, daß im gesamten  Markt das Grundvertrauen in die Fairness des Warentauschs beschädigt wird. Ein Handschlag gilt nicht mehr uneingeschränkt als verläßlich, und jeder Marktteilnehmer versucht sich gegen seine Handelspartner abzusichern. Die Warentransaktionskosten steigen weit über den ursprünglichen Schaden hinaus, den die falschen Gewichte verursacht haben, weil sie nun auch die Kosten für Kontrolle und Rechtspflege beinhalten müssen. Aus Geschäftspartnern, die gern miteinander Waren tauschten, werden argwöhnische Gegner.

Doch gibt es darüberhinaus eine weitaus wirksamere Methode, den Markt in betrügerischer Absicht auszuplündern. Diese ist freilich sowohl dem Käufer als auch dem Verkäufer verwehrt, sie ist Privileg derer, die den Wert des Geldes beeinflussen können.
Schon in der Antike wurden Edelmetalle zu Münzen geprägt, um den Warenverkehr zu erleichtern. So mußte nicht bei jeder Zahlung umständlich Gewicht und tatsächliche Zusammensetzung des Metalles geprüft werden. Die Handelspartner vertrauten dem eingeschlagenen Siegel der Münze. Von jeher haben aber Herrscher, welche die Münzhoheit innehatten, den Silber- oder Goldgehalt des Münzmetalls verringert und durch schlechte Münze den Schlagschatz, also ihren Gewinn aus der Münzprägung, erhöht.

Der Florentiner Ökonom Bernardo Davanzati schrieb dazu im 16. Jahrhundert: »Die Ägypter schlugen denen, die die öffentlichen Maße fälschten, beide Hände ab. Aber kann es eine größere Fälschung geben, als das Geld zu verringern, also auf niederträchtige Art den Leuten ihre Güter zu stehlen?«
Nikolaus Kopernikus, der nicht nur Arzt, Jurist, Mathematiker und Astronom war, sondern sich auch mit Ökonomie und Geldtheorie befaßte, bemerkte: »Doch die schlimmsten [Plagen] sind meiner Meinung nach folgende vier: Krieg, Pest, Hungersnot und Münzentwertung. Bei den ersten drei ist das so offensichtlich, daß niemand daran zweifelt. Aber die vierte, welche die Münze betrifft, wird nur von wenigen, sehr verständigen Leuten erkannt, weil sie die Gemeinwesen nicht in einem Ansturm und auf einmal, sondern erst nach und nach und gleichsam unmerklich zugrunderichtet.« Über schwache Münzen schrieb er: »Das, was Maß sein soll, muß allzeit eine feste und beständige Größe haben, sonst würde die Ordnung des Gemeinwesens zwangsläufig gestört. Denn die Käufer und Verkäufer würden ebenso mannigfach betrogen werden, wie wenn die Elle, der Scheffel oder das Gewicht nicht mehr ihre bestimmte Größe hätten.«

Der Gedanke liegt also auf der Hand, daß Manipulationen am inneren Wert des Geldes grundsätzlich die gleichen Auswirkungen haben wie das Fälschen von Gewichtssteinen — nur daß sie viel weiter reichen. So, wie der Gewichtsfälscher jeden seiner Handelspartner immer wieder bestiehlt und dadurch einen kontinuierlichen Vermögenstransfer von den anderen Marktteilnehmern zu sich selbst hin bewirkt, bestiehlt der Münzherr jeden, der sein unterwertiges Geld annimmt.
Was aber bedeutet das für unser heutiges Papiergeld, das ja ohnehin keine Golddeckung mehr hat?
Die Banknote — Note steht hier für Notiz — die wir heute als Geld empfinden, begann ihre Karriere als ein Versprechen auf Geld, als bloßer Schuldschein. Sie war nichts als eine Urkunde, die man bei der ausstellenden Bank gegen die notierte Menge Goldes einlösen konnte. In den letzten hundert Jahren haben freilich die Regierungen die Notenbanken schrittweise von der Pflicht entbunden, diese Banknoten einzulösen. Nun ist das ja eigentlich der Insolvenzfall: Ein Schuldschein wird nicht eingelöst, er verfällt, die Gläubiger sind ihres Geldes verlustig gegangen und der Schuldner — hier also die Bank — ist damit bankrott. Der Gesetzgeber hat jedoch die Bürger verpflichtet, diese insolventen Schuldscheine weiterhin zahlungshalber zu akzeptieren. Nach wie vor werden sie also gehandelt und gegen echte Waren und Dienstleistungen eingelöst, gerade so, als könne man jederzeit zur Bank gehen und sie wieder gegen Geld wechseln. Und nicht nur das: Die von rechts wegen bankrotte Notenbank wurde nicht etwa abgewickelt, sondern vom Staat per Gesetz weiter privilegiert. Sie darf sogar neue Schuldscheine drucken und unters Volk bringen, sogar mehr als je zuvor, weil sie ja von der Pflicht zur Golddeckung befreit ist. Die natürliche Begrenzung, die zuvor durch die Goldmenge vorgegeben war, ist entfallen und so kann die virtuelle Geldmenge — also die Zahl der in Umlauf gebrachten Schuldscheine — nahezu unendlich aufgebläht werden. Das »Verdünnen« des Geldes, das früher durch Herabsetzung des Goldgehaltes der Münzen bewerkstelligt wurde, wird heute durch künstliches Geldmengenwachstum erreicht. Im Gegenzug für das Privileg, Geld per Federstrich zu erschaffen, leiht die Notenbank dem Staat solch virtuelles Geld, der es wiederum bei den Bürgern gegen echte Waren und Dienstleistungen einlöst. Der Preis für die Möglichkeit, nahezu beliebige Geldmengen aus dem Nichts zu schaffen, ist die ständige Entwertung des Papiergeldes, denn je mehr sich die Menge des umlaufenden Geldes von der Menge der angebotenen Produkte und Dienstleistungen entfernt, desto teurer müssen diese werden, da mittelfristig Geldmenge und Angebotsmenge wie Flüssigkeiten in kommunizierenden Röhren einen Ausgleich suchen — wenn auch viel langsamer.

Wie die gefälschten Gewichtssteine bewirkt also auch Inflation einen ständigen Vermögenstransfer — und zwar von den Gläubigern hin zu den Schuldnern. Da es aber in den modernen Gesellschaften mehrheitlich die Bürger sind, die mit Sparkonten, Versicherungen, Renten- und Pensionskassen für das Alter vorsorgen wollen, während die Staaten sich in exorbitanter Höhe verschuldet haben, bewirkt Inflation in der Hauptsache einen Transfer vom Bürger zum Staat: Inflation ist eine unerklärte, heimliche Zusatzsteuer in außerordentlicher Höhe, sie wurde von keinem Parlament beschlossen, macht aber den Sparer zum Sklaven, der unentgeltlich für den Schuldner arbeiten muß.

Es war kein fundamentalistischer Theologe, sondern der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Hans Christoph Binswanger, der die moderne Papiergeldschöpfung der Zauberei verglich: »Kennzeichen der Magie ist, daß etwas mühelos, ohne Einsatz geschieht, und das sehr schnell und praktisch unbegrenzt. Denken Sie an den Zauberer, der im Handumdrehen eine schier endlose Zahl von Tüchern aus seinem Ärmel zieht. Statt aus Blei Gold zu machen, wird in der modernen Wirtschaft Papier zu Geld.« Dem ist hinzuzufügen, daß Zauberei immer eine Geheimwissenschaft ist, mit der wenige Eingeweihte sich über die Masse des Volkes erheben. Auch dieses Merkmal trifft auf das moderne Geldsystem zu: Nur eine kleine Elite durchschaut die tatsächlichen Zusammenhänge, die meisten sind fremd in der Welt der ABSs, der REITs, der CDSs und CDOs, ja verstehen den virtuellen Charakter des Zahlungsmittels kaum, mit dem sie doch täglich hantieren. Das Wesen modernen Geldes ist damit etwas verborgenes — oder, um es lateinisch zu sagen: occultes.

Eine populärer Irrtum ist es, Teuerung als Inflation anzusehen. Inflation (deutsch: Aufblähung) ist aber die Erweiterung der Geldmenge, wie sie zum Beispiel derzeit durch die Maßnahmen zur Eurorettung regelmäßig in bisher unvorstellbarem Ausmaß geschieht. Teuerung ist nur die Folge solcher Inflation, und da manchmal recht viel Zeit vergehen kann, bis der Markt durch Preissteigerungen auf die inflationäre Ausweitung der Geldmenge reagiert, ist dieser Zusammenhang auf den ersten Blick schlecht zu erkennen, obwohl er sachlich zwingend ist. So steht zwar grundsätzlich fest, daß das Geldmengenwachstum zu höheren Preisen führt, da aber auch subjektive Faktoren bei der Tarierung des Geldwertes eine Rolle spielen, kann weder vorhergesagt werden, wann dies geschehen wird, noch, ob die Teuerung einen allmählichen oder einen galoppierenden Verlauf nehmen wird.
Zu Zeiten strikter Golddeckung des Geldes war Inflation kein ernsthaftes Problem. Wo die Geldmenge stabil ist, können Waren und Preise zu einem dauerhaften Gleichgewicht finden. Da heute die Geldmenge aber ständig über die Menge der angebotenen Waren und Dienstleistungen hinaus ausgeweitet wird, muß dieses Gleichgewicht fortlaufend neu tariert werden: Die Preise passen sich über kurz oder lang der neuen Geldmenge an und steigen. Papiergeld funktioniert dann zwar noch einigermaßen als Warentauschmittel, seine andere Funktion, nämlich ein Wertaufbewahrungsmittel zu sein, hat es aber eingebüßt. Selbst die D-Mark, die gemeinhin als beispielhaft stabile Währung angesehen wird, hat in dem halben Jahrhundert ihres Bestehens drei Viertel ihrer Kaufkraft eingebüßt. Ein Dollar hat von 1913 bis zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gerade noch zwei Cent seiner ursprünglichen Kaufkraft behalten, das heißt, Waren und Dienstleistungen, die vor dem ersten Weltkrieg einen Dollar gekostet haben, mußten um die Jahrtausendwende mit fünfzig Dollar bezahlt werden.
Auch wenn wir heute regelmäßig von einem steigenden Goldpreis lesen, ist dies irreführend. Denn der Goldpreis ist relativ stabil: Man hätte im Alten Rom für eine Unze eine gute Toga bekommen, zweitausend Jahre später kann man sich für den Gegenwert einer Unze Gold immer noch einen guten Anzug kaufen. Wenn wir also in der Zeitung lesen, der Goldpreis sei gestiegen, so bedeutet das strenggenommen: Der Papiergeldpreis ist gefallen.

Wie falsche Gewichte und schlechte Münze seit der Antike das Vertrauen zwischen Käufern und Verkäufern beschädigt haben, so ruiniert die Aufblähung der Geldmenge im Zusammenwirken von Finanzwirtschaft und staatlichem Handeln das Vertrauen vieler Menschen in die Verläßlichkeit und die wirtschaftliche Neutralität des Staates. Holger Stelzner spricht in der F.A.Z. im Zusammenhang mit den intransparenten Strukturen der europäischen Finanzinstitutionen gar von einer drohenden »Aushöhlung der Demokratie von innen«. Tatsächlich sieht es so aus, als seien bei der Bewältigung der Schuldenkrise den gewählten Parlamenten die Zügel entglitten.

Von Ludwig Erhard, dem ersten Wirtschaftsminister und zweiten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, ist der Satz überliefert: »Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.«
Im Extremfall kann das Vertrauen in eine Währung so stark erschüttert werden, daß es zu einer Hyperinflation kommt. Dann taugt dieses Geld nicht einmal mehr zum Warentausch, die Geldkrise bringt die reale Wirtschaft ins Wanken und der größte Teil des Volkes verelendet: Ja, trügerische Waagschalen sind Jahweh ein Greuel.
Freilich kann das beständige Dahinschmelzen des Geldwertes den aufmerksamen Bibelleser nicht überraschen. Daß irdische Güter zum Raub von Dieben, Rost und Motten werden, steht geschrieben (Mt. 6, 19; Jak. 5, 2) und ist auch notwendig, damit der Mensch lerne, seine Zuversicht nicht auf Geld zu setzen. Das historische Gedächtnis der meisten ist freilich verblüffend kurz. All die Münzverrufe, Währungsreformen, Bankzusammenbrüche und spektakulären Inflationen der Vergangenheit scheinen kaum Spuren im öffentlichen Bewußtsein hinterlassen zu haben; gerade im scheinbar stabilen Mitteleuropa rechnen die wenigsten mit ernsthaften Wohlstandsverwerfungen. Und so muß wohl jede Generation aufs neue durch existentielle Krisen erschüttert werden, um zu lernen, daß Geld nur ein Dunst ist, auf den man sein Leben nicht gründen sollte.

 

 

Dieser Teil des Artikel ist in »factum« 1/2013 erschienen.

 

Teil I des Artikels »Trügerische Waagschalen« ist hier zu finden.
 

Siehe auch meine Recension: Stefan Frank · Kreditinferno — Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos

 


Photo: © Geier

 

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