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Hüter des Unkrauts
20. Februar 2013
Das evangelische Nachrichtenmagazin idea Spektrum äußert sich in letzter Zeit auffallend häufig auffallend freundlich zum Katholizismus und hat es sich auch nicht nehmen lassen, den scheidenden Papst mit »10 großen Worten« aus seiner Amtszeit zu feiern. Unter anderem eines aus dem Jahr 2005:
»An der Kirche kann man sehr viel Kritik üben. Wir wissen es, und der Herr hat es uns gesagt: Sie ist ein Netz mit guten und schlechten Fischen, ein Acker mit Weizen und Unkraut.«
Der Herr hat gesagt? Moment mal, was bitte hat Jesus denn wirklich gesagt?
Ein anderes Gleichnis legte Er ihnen dar: »Das Königreich der Himmel gleicht einem Menschen, der edlen Samen auf sein Feld säte.
Aber während die Menschen schlummerten, kam sein Feind und säte Taumellolch darüber, mitten unter das Getreide, und ging davon.
Als aber der Halm keimte und Frucht trug, erschien dann auch der Taumellolch.
Da traten die Sklaven der Hausherrn herzu und fragten ihn: Herr, hast du nicht edlen Samen auf dein Feld gesät? Woher hat es nun den Taumellolch?
Er entgegnete ihnen: Ein Feind, ein Mensch, hat dies getan. Weiter fragten ihn die Sklaven: Willst du nun, daß wir hingehen und es jäten?
Da entgegnete er: Nein, damit ihr nicht beim Jäten des Taumellolchs zugleich mit ihm das Getreide entwurzelt.
Laßt beides zusammen bis zur Ernte wachsen, und zum Zeitpunkt der Ernte werde ich den Schnittern gebieten: Jätet zuerst den Taumellolch und bindet ihn in Bündel, um ihn zu verbrennen; das Getreide aber sammelt in meine Scheune.« (Mt. 13, 24ff, Konkordante Übersetzung)
Nun hat Jesus ja genau gewußt, daß es später immer wieder Feinde des Jätens geben würde, die dieses Gleichnis in die Hand nehmen und behaupten würden: »Da schau her, da kann man ja gar nichts machen, wenn Verfehlung sich breitmacht unter den Christen, es ist halt so, der Lolch wächst mit dem Getreide auf und wird erst im Gericht gejätet«. Und genau deshalb, genau für diese hat er hier nicht aufgehört, sondern die Sache extra noch einmal so erklärt, daß sie eigentlich auch Theologen verstehen können müßten:
Dann entließ Er die Scharen und ging in das Haus zurück. Da kamen Seine Jünger zu Ihm und baten:
»Kläre uns über das Gleichnis vom Taumellolch des Feldes auf!«
Er antwortete: »Der den edlen Samen sät, ist der Sohn des Menschen.
Das Feld ist die Welt; der edle Samen aber, das sind die Söhne des Königreichs; der Taumellolch dagegen, das sind die Söhne des Bösen.
Der Feind aber, der ihn sät, ist der Widerwirker; die Ernte ist der Abschluß des Äons, und die Schnitter sind die Boten. (Verse 36ff)
Es geht hier also keineswegs um die Binnenverhältnisse in der Herausgerufenen[G], es ist ausdrücklich gesagt, daß der Acker, in dem Getreide und Lolche gemeinsam aufwachsen, die Welt ist. In der Herausgerufenen haben Lolche demnach überhaupt nichts zu suchen. Entweder hat der Papst das Gleichnis also nicht verstanden, oder er gibt (einmal mehr) freimütig zu, daß seine Kirche eben zur Welt gehört und nicht Teil der Herausgerufenen ist. Übrigens ist der Papst hier bei weitem nicht der einzige, der die Coordinaten dieses Gleichnisses verschiebt, es gehört auch zum Standardrepertoire protestantischer Theologie, vom Unkraut im Weizen zu schwadronieren, um den Verzicht auf Absonderung von Götzendienst und Götzendienern in der Gemeinde zu rechtfertigen. So macht man sich schließlich zum Hüter des Unkrautes. Es ist also keine zufällige, schon gar keine unprotestantische Nachlässigkeit, daß »idea« diese Irrlehre unter die »10 großen Worte« Benedikts einreiht, den man dort, nebenbei bemerkt, ansonsten als »brillanten Denker mit tiefer Frömmigkeit« bezeichnet.
Jesus redet hier übrigens — was Bibelübersetzungen unterschlagen, die nur allgemein von »Unkraut« reden und uns die Bezeichnung dieses Gewächses vorenthalten — nicht von irgendeinem Unkraut: Taumellolch (ζιζάνιον) ist eine Grasart, die bis zum Erscheinen der Ähren genau wie Weizen aussieht. Durch Befall mit einem parasitären Pilz ist Taumellolch giftig. Taumellolch oder mit solchem verunreinigtes Getreide ruft Bewußtseinsstörungen bis hin zum Tod hervor. Allein in diesem einen Wort hat Jesus also ein zusätzliches Gleichnis versteckt: Der Mensch, der ein »Sohn des Bösen« ist, also der Welt zugehört, ist von der Verfehlung wie von einem Pilz befallen, wodurch er sein täuschendes, strauchelnmachendes und todbringendes Wesen erhält. Erst an der Frucht kann man das gute Getreide vom Lolch unterscheiden.
Vor dem, was landläufig als »Gemeindezucht« bezeichnet wird, warnt dieses Gleichnis also nicht. Es warnt vor einem politisch verstandenen Christentum, das Außenstehenden geistliche Maßstäbe aufzwängen will. In der Welt muß das Böse tatsächlich ausreifen, ehe es der Schnitter im Gericht beseitigen kann. Aus der Herausgerufenen aber soll es heute hinweggetan werden.
Nachtrag 26. 3. 12: Noralerweise greifen Gleichnisse ja Begebenheiten und Verhältnisse aus unserer Lebenswirklichkeit auf, um uns daran geistliche Wahrheiten zu erklären. Aber Menschen, die ihren Feinden Unkraut in den Acker säen — gibt es das wirklich? Ja, tatsächlich: Am Kaiser-Wilhelm-Institut für Kulturpflanzenforschung in Wien wurden gegen Ende des Zweiten Weltkrieges militärische Projekte zur Unbrauchbarmachung landwirtschaftlicher Nutzflächen durch den Einsatz von Unkräutern durchgeführt.
Abb.: gemeinfrei