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Hanne K. Götze · »Kinder brauchen Mütter«
16. Oktober 2011
Hanne K. Götze
Kinder brauchen Mütter
Die Risiken der Krippenbetreuung — was Kinder wirklich stark macht
Ares-Verlag
€ 19,90
gebunden, 277 Seiten
ISBN-10: 3902475943
ISBN-13: 978-3902475947
Dieses Buch hat eine bewegte Geschichte: Nachdem es im vergangenen Jahr in einem großen Verlagshaus schon fertig lektoriert war, weigerte sich die Vertriebsmannschaft unter tumultartigen Scenen und heftigster Ablehnung, das Werk den Buchhändlern anzutragen. Man fürchtete, die Händler könnten den Verlag künftig meiden. Die großen commerziellen »christlichen« Verlage haben es denn auch abgewimmelt. Im Frühjahr 2011 ist es endlich im österreichischen Ares-Verlag erschienen.
Was birgt ein Buch, das schon vor seinem Erscheinen solche Abwehr auslöst? Etwas eigentlich ganz Triviales: Ein leidenschaftliches, aber auch kenntnisreich und sachlich fundiertes Plaidoyer für die häusliche Erziehung von Kindern und ausführliche Aufklärung über die Risiken und Nebenwirkungen kindlicher Fremdbetreuung.
Aber mit genau diesen Selbstverständlichkeiten löckt die Autorin wider eine Phalanx von Gegnern aller denkbaren Interessengruppen: Die Feministen wollen der Frau nicht zugestehen, sich um etwas anderes als ihre Selbstverwirklichung zu kümmern und sehen im Kind primär einen Störfaktor, der möglichst unter staatlicher Aufsicht zu parken sei, um der Frau nicht im Wege zu stehen. Politiker aller Couleur streben nach der »Lufthoheit über den Kinderbetten« und sehen in der Vergesellschaftung der Erziehung ein probates Mittel, sich den gleichgeschalteten Wähler von Morgen selbst heranzuziehen. Genderfunktionäre wollen die geschlechterspezifische Aufgaben- und Rollenverteilung prinzipiell beseitigt wissen, weil sie der Schaffung des androgynen Menschen im Wege steht und weil jedes Kind, das auf natürlichem Wege gezeugt, geboren und gestillt wird, sie an die Hybris ihres Tuns gemahnt. Die Wirtschaft verlangt es nach der Arbeitskraft der Frau, den Staat nach den Steuern, die diese erwirtschaften könnte. Sie alle sind sich einig, daß die Frau aus dem häuslichen Umfeld herausgebrochen werden soll — und dazu muß ihr zunächst das Kind »abgenommen« werden. Dem Streben des Staates nach einem möglichst frühen und möglichst umfänglichen Einfluß auf die Kinder steht nur zu oft die Verantwortungsarmut einer Elterngeneration gegenüber, die bereits daran gewöhnt ist, in allen denkbaren Lebensbereichen staatliche Fürsorge zu erwarten. In gewissem Sinne ist der staatliche Griff nach Frauen und Kindern also sogar demokratisch legitimiert — freilich auf Kosten der Kinder, die auf diesem Verschiebebahnhof von Betreuungszeiten, Subventionen und Machtansprüchen zur bloßen Maneuvriermasse werden. Schon breitet sich ein gesellschaftliches Klima aus, in dem die Hausfrau geächtet ist wie weiland im Sozialismus. Selbst das Krippensystem der DDR wird dieser nachträglich als Pluspunkt angerechnet, obwohl seine Schädlichkeit hinlänglich erforscht und bekannt sein dürfte.
Mit großer Detailkenntnis beleuchtet die Autorin diesen gesamten Themenkomplex in seiner ganzen Vielschichtigkeit: Die physiologischen und psychologischen Probleme frühkindlicher Fremdbetreuung, den historischen Kontext, die gesellschaftlichen Kräfte, die einer natürlichen Mutter-Kind-Beziehung entgegenstehen, die gesellschaftlichen Verwerfungen, welche die Fremdbetreuung von Kleinkindern nach sich zieht. Als Mutter von vier Kindern und Stillberaterin konnte Frau Götze die Materie mit zahlreichen Anekdoten aus der Praxis anreichern; selbst Erinnerungsfetzen an die eigene Krippenzeit fehlen nicht. Trotz der Detaildichte geht aber der Blick auf den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang nicht verloren: Die Förderung kindlicher Fremdbetreuung ist nur ein Teil eines kollektivistischen, ja sozialistischen Gesellschaftsumbaus. Das Anknüpfen an die gescheiterte Agenda der DDR wird in beklemmenden Citaten deutlich. So hieß es in der DDR-Säuglingsfibel von 1972:
Für die volle Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frau haben unsere Kindereinrichtungen einen wesentlichen Beitrag zu liefern, weil sie der Mutter weitgehend die Ausübung ihres Berufs, ihre berufliche und kulturelle Qualifizierung und ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Die Tages- und Wochenkrippen für Kinder der ersten drei Lebensjahre dienen nicht allein der Entlastung unserer Mütter, sondern stellen eine wertvolle und wirksame Ergänzung der Familienerziehung dar.
Im wesentlichen inhaltsgleich heißt es in einem Schreiben des Familienministeriums der Bundesrepublik an die Autorin aus dem Jahr 2007:
Gerade junge Frauen wollen heute ganz selbstverständlich, was für Männer schon immer möglich war, nämlich ihre berufliche Qualifikation nutzen, finanziell unabhängig bleiben und trotzdem nicht auf Familie verzichten … Kindertagestätten bieten ein komplementäres — und bei problembelasteten Familien ein kompensatorisches — Angebot zur Erziehung und Bildung in der Familie.
Noch gespenstischer wird der Vergleich, wenn wir die Äußerungen aus dem Familienministerium gegen die Blaupause halten, die Lenin gegenüber Clara Zetkin ausgebreitet hat:
Die Regierung der proletarischen Diktatur bietet … alles auf, um die rückständige Auffassung der Männer und Frauen zu überwinden … . Eine Selbstverständlichkeit ist die volle Gleichberechtigung von Frau und Mann in der Gesetzgebung. Auf allen Gebieten zeigt sich das aufrichtige Bestreben, die Gleichberechtigung durchzuführen. Wir gliedern die Frauen in die soziale Wirtschaft, Verwaltung, Gesetzgebung und Regierung ein. Wir öffnen ihnen alle Kurse und Bildungsanstalten, um ihre berufliche und soziale Leistungsfähigkeit zu heben. Wir gründen Gemeinschaftsküchen und öffentliche Speisehäuser, Wasch- und Reparaturanstalten, Krippen, Kindergärten, Kinderheime, Erziehungsinstitute verschiedener Art. Kurz, wir machen Ernst mit unserer programmatischen Forderung, die wirtschaftlichen und erzieherischen Funktionen des Einzelhaushaltes der Gesellschaft zu übertragen. Dadurch wird die Frau von der alten Haussklaverei und jeder Abhängigkeit vom Manne erlöst. … Die Kinder erhalten günstigere Entwicklungsbedingungen als daheim.
Eine Kindergartenpflicht, wie sie heute in der Bundesrepublik ganz offen diskutiert wird, kannte freilich nicht einmal die DDR; soviel ich weiß, auch die Sowjetunion nicht.
Es hätte dem Buch sicher wohlgetan, mehr Augenmerk auf die Rolle des Vaters zu richten; durch den Fokus auf die Mutter-Kind-Bindung erscheint dieser hier beinahe als Randfigur, jedenfalls nicht als derjenige, von dem innerhalb seines Hauses[G] jegliche Mutterschaft verliehen wird, so wie seinerseits auch Gott alle Vaterschaft verleiht (Eph. 3, 15). Man könnte wohlmeinend zugestehen, daß dies in einem anderen Buche behandelt werden müsse, daß die monothematische Beschränkung auf Mutter und Kind nötig sei, um den inhaltlichen Rahmen für dieses Buch nicht zu überdehnen. Dies mag sein. Wenn aber eine der ohnehin seltenen Erwähnungen eines Vaters in dem Buch diesen als Störfaktor in einer Sorgerechtsfrage beschreibt, scheint mir das durchaus ein Indiz für ein grundsätzliches Problem zu sein. Denn wenn es einen Dienst gibt, den diese Gesellschaft noch geringer schätzt als den der Mutter, dann ist es der des Vaters. Hier scheint das Buch einen blinden Fleck zu haben, und so richtig der Satz ist, daß Kinder Mütter brauchen, so wichtig wäre auch die Feststellung, daß sie eben keine dominanten Mütter brauchen können.
Eine Schramme bekommt der gute Gesamteindruck gegen Ende, wenn der Autorin zur Verbesserung der gegenwärtigen Situation neben anderen Maßnahmen ausgerechnet verpflichtende Elternkurse und eine Elternsupervision in den Sinn kommen. Nachdem Frau Götze zuvor auf 250 Seiten dargelegt hat, was der Staat alles tut, um das Mutter-Kind-Verhältnis zu untergraben, ist nicht recht verständlich, wie ausgerechnet ein Ruf nach »mehr Staat« auf einmal Probleme lösen könnte, für die staatliche Politik in der Hauptsache ja gerade die Ursache ist.
Trotzdem: Wer immer nach schlüssigen Argumenten gegen die Fremdbetreuung von Kleinkindern sucht, wird sie bei Hanne Götze in beeindruckender Fülle und Varianz finden. Und auch als Motivationsbuch für (werdende) Eltern ist »Kinder brauchen Mütter« durchaus zu empfehlen.
Photo: © Geier
Gerade erreichte mich die folgende Nachricht der Autorin mit Anmerkungen zur obenstehenden Recension: