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Schrottpolitik
25. Januar 2009
Der Reiche herrscht über den Armen, und der Borgende ist ein Knecht des Leihenden. (Spr. 22, 7)
Jetzt ist sie da, die Abwrackprämie für alte Autos, die die deutsche Konjunktur retten soll. Zweitausendfünfhundert Euro erhält, wer einen Neu- oder Jahreswagen kauft oder least, wenn er sein mindestens neun Jahre altes Altfahrzeug, das mindestens ein Jahr auf ihn zugelassen war, verschrottet. Freilich stellt sich die Frage, ob Menschen, die ein mehr als neun Jahre altes Auto fahren, überhaupt einen neuen Wagen bezahlen können. »Das müssen sie ja gar nicht«, sagt ein Autohändler lt. F.A.Z., »Sie müssen ihn nur finanzieren können. Der Kunde mache nur eine Anzahlung von 1000 Euro. Der Rest werde mit erschwinglichen Leasingraten abbezahlt.«
Nun war es schon vordem nicht sonderlich seriös, Privatleute, die ein Fahrzeug nicht bar bezahlen können, in Leasingmodelle hineinzureden. Leasing ist ein sehr teures Instrument, das sich, wenn überhaupt, nur für Unternehmen unter steuerlichen Gesichtspunkten lohnt. Personen, die schon nicht genügend Ersparnisse bilden konnten, um ein Fahrzeug bar zu bezahlen, wird hier nur weiteres Geld für die Leasingkosten aus der Tasche gezogen. So finanziert der Staat mit seinem Subventionsaktionismus auch noch weitere Verschuldung — und damit Versklavung — derer, die sich das am wenigsten leisten können. Die Finanzkrise, die ja eine Verschuldungskrise ist, wird so mit weiteren Schulden »kuriert«: Der Staat verschuldet sich in absurder Höhe und fördert damit auch noch die Verschuldung der Einkommensschwachen. Die stehen dann nach Leasingende möglicherweise auch noch ohne Fahrzeug da — falls sie nämlich die Restzahlung nicht aufbringen können. Denn wer least, erwirbt erst einmal gar kein Eigentum am geleasten Gegenstand. Dieser gehört der Leasingbank, die ihn dem Leasingnehmer gegen hohe Gebühren zur Nutzung überläßt. Will er den Gegenstand nach Vertragsende — was im Falle eine Automobils so etwa drei bis vier Jahre sein dürften — behalten, muß er ihn mit einer Restzahlung auslösen, die desto höher ausfällt, je niedriger Anzahlung und Monatsraten kalkuliert waren.
Überhaupt neigt die Industrie seit einigen Jahren dazu, lieber Nutzungsrechte zu überlassen als Waren zu verkaufen. Bei Software ist man schon gewohnt, nicht das Produkt, sondern nur eine Nutzungslizenz zu erwerben. Jetzt kommt die Hardware: So werden gewerbliche Großkopierer schon sehr häufig nicht gekauft, sondern gegen »Klick-Preis« überlassen, d. h., der Kunde zahlt einen monatlichen Grundbetrag und einen zusätzlichen Preis je Kopie. Für den Anbieter hat das große Vorteile, er hat den Kunden ständig an der Leine. Der Kunde wird damit geködert, daß er eine gut planbare monatliche Belastung habe, aber natürlich zahlt er insgesamt normalerweise mehr, als wenn er das Gerät einfach kaufen würde. Auch die Automobilindustrie wälzt seit einiger Zeit Konzepte, die dazu führen sollen, dem Kunden nicht einfach ein Fahrzeug zu verkaufen, sondern »die Dienstleistung Mobilität«. Der Nutzer wird damit in höhere Abhängigkeit vom jeweiligen Hersteller gebracht.
Auch die Praxis, in Fahrzeuge und selbst in einfache mechanische Geräte immer mehr Elektronik zu verbauen, bringt häufig eine ganz besondere Art der »Kundenbindung« mit sich: Solche Geräte können nicht mehr von jedem freien Mechaniker repariert werden, sondern nur noch von dem, der im Besitz der elektronischen Codes ist: dem Hersteller. Damit hat dieser im Reparaturbereich — der in einigen Branchen lukrativer ist als der Neuverkauf — allen Wettbewerb vom Halse und kann den Kunden mit absurd hohen Reparaturpreisen belasten. Dieser ist, selbst wenn er das Produkt gekauft hat, beinahe genausowenig »Herr« über seinen Besitz wie ein Mieter. Denn er hängt genauso an der Leine des Produzenten, der nach einigen Jahren den Service einstellen oder weiter verteuern kann und damit den Kunden zwingen, etwas neues zu kaufen.
Auch hier wirkt die Verschrottungsprämie beschleunigend: Alte Fahrzeuge ohne Elektronik werden »vom Markt genommen« und durch elektronifizierte ersetzt. War Sowjetmacht gemäß dem bekannten Lenin-Citat noch auf das Engste mit Elektrifizierung verbunden, so scheint Industriemacht mit Elekronifizierung verbunden zu sein. Ich bin im bereits im Besitz von Geräten, in denen teure Teile mit einem eingebauten Verfallsdatum verbaut sind: Ein Chip sagt nach einer vordefinierten Laufzeit einfach: »Schluß!« — und das, obwohl das Gerät im mechanischen Sinne durchaus noch gut weiterlaufen könnte. Aber der Chip schaltet es ab. Dies ist die konsequente Weiterentwicklung der alten Kaufmannsweisheit »Was lange hält, das bringt kein Geld«. Von Verbraucherschützern habe ich bisher dazu nichts gehört, auch nicht von den Ökologen, die ja sonst zu allem ihren Senf dazugeben, aber hier offensichtlich kein Problem sehen, wenn brauchbare Maschinenteile einfach weggeworfen und durch neue ersetzt werden.
Die Frage ist, ob man derartige Tendenzen auch noch mit 1,5 Milliarden Steuer-Euro unterstützen sollte. Für die deutsche Industrie, der das Programm angeblich zugute kommen soll, wird jedenfalls davon erst einmal wenig übrigbleiben: Die Autos, die sich jemand leisten kann, der bisher ein über neun Jahre altes Auto fahren mußte, bietet kein deutscher Hersteller an.
Nachtrag 28. 2.: »Sechshunderttausend Autoverschrottungen sind also in Deutschland zu erwarten. In dieser Größenordnung werden sonst nur Tiere gekeult, sobald die Gefahr besteht, dass BSE oder Vogelgrippe ausbricht. Sind die alten Autos denn auch infiziert? Müssen sie aus dem Verkehr gezogen werden, um die gesunden zu retten? Müssen jetzt mutwillig Werte zerstört werden, um das wirtschaftliche Wohl des Landes zu erhalten? Jetzt, wo die Wirtschaft Totalschaden zu haben scheint, wird dafür gesorgt, dass Autos, die ja alle noch fahren, auch einen Totalschaden erleiden.« schreibt Edo Reents in der F.A.Z.. Selbst ein von ihm citierter Schrotthändler hat mehr ökonomischen Sachverstand als die Bundesregierung und stellt fest: »Wir vernichten Rohstoffe und Material ohne Ende«.
Daß eine Krise, die durch Umverteilung virtuellen Geldes entstanden ist, nicht durch weitere Umverteilungen gelöst werden kann, sollte auch dem Laien klar sein. Denn in erster Linie ist für den Wohlstand einer Nation wichtig, was überhaupt an Gütern zur Verfügung steht, damit dann in zweiter Linie über deren Verteilung nachgedacht werden kann. Eine Politik, die sich aber auf die systematische Vernichtung von funktionierenden Wirtschaftsgütern und realen Sachwerten verlegt, ist historisch ziemlich einmalig. Vielleicht findet man ja in der Literatur etwas vergleichbares — ich würde mal bei den Schildbürgern suchen.
Siehe auch Geiernotiz von 2. März 2011: »Was lange hält …«
Photo: © Geier