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Süppchen kochen …
27. Juli 2011
Die Leichen von Norwegen sind kaum kalt, jedenfalls noch nicht einmal unter der Erde gewesen, da köchelten einige auf der Glut der Ereignisse von Oslo und Utøya schon ein ganz übles Süppchen. Da wurde der Täter zum Beispiel als »christlicher Fundamentalist« dargestellt. Nun hat, wer solch einen Narzißten, »World of Warcraft«-Spieler und Freimaurer überhaupt als Christen, ja gar noch als christlichen Fundamentalisten darstellt, entweder nicht die geringste Ahnung, wovon er schreibt, oder — schlimmer noch — verfolgt damit ganz bestimmte Ziele. Welche könnten das sein?
Aus der CSU wird der Ruf laut, nun endlich doch die Vorratsdatenspeicherung einzuführen, obwohl das Bundesverfassungsgericht diese erst 2010 als nicht verfassungskonform untersagt hatte. Gefordert wird Überwachung von Internetverkehr und Telefongesprächen vorab, ohne den geringsten Tatverdacht, also im großen und ganzen die endgültige Abschaffung des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Allerdings könnte eine Vorratsdatenspeicherung solche Taten ohnehin nicht verhindern.
Auch die Gewerkschaft der Polizei hält die Zeit für gekommen, der Öffentlichkeit mit ihrem Wunschzettel vor der Nase herumzuwedeln: Und was steht darauf? Ein Zentralregister auffälliger Personen. Nun ist das Signalement »auffällige Person« derart beschaffen, daß man je nach Bedarf so ziemlich jeden darunter subsummieren kann. Denn Auffälligkeit hat es nun einmal so an sich, daß sie im Auge des Betrachters liegt: Sie ist ein rein subjectives Kriterium. Wen will man also im Zentralregister auffälliger Personen erfassen? Die Transvestiten? Die Adipösen? Die mit buntgefärbten Haaren, Piercings im Gesicht oder solche, die sich morgens in Jogginghosen beim Bäcker anstellen? Ganz bestimmt nicht, sondern eher solche, die Orwell als »Gedankenverbrecher« bezeichnet hätte: Die Meinungen vertreten, die der Mehrheit bzw. den »Meinungsmachern« in Politik und Medien widersprechen. Breivik gibt die ideale Projektionsfläche ab, um endlich mit allen abzurechnen, die schon immer nicht so ganz glatt in das politisch korrekte Gesellschaftsgefüge einzupassen waren. Wie ironisiert Michael Klonovsky so schön:
Na, ob mal dieser angeblich rechtsextreme und islamfeindliche Attentäter von Oslo und Utøya am Ende nicht auch noch ein Kernkraftbefürworter ist?
Und hier kommen wir wieder auf den »christlichen Fundamentalismus« zurück: Wer einen mutmaßlichen Psychopathen, der mit Christus nicht mehr zu tun hat als eine Amtskirche, als »christlichen Fundamentalisten« bezeichnet, tut dies nicht in der Absicht, etwas zur Charakterisierung des Täters beizutragen, sondern versucht, einen Teil des norwegischen Leichengeruches den »christlichen Fundamentalisten« anzuheften. Da dieser Begriff kaum schärfer abgegrenzt ist als der einer »auffälligen Person«, eignet er sich hervorragend, gegen verschiedene mißliebige Subjekte vorzugehen, seien dies nun Islamkritiker, Patriarchaliker oder wen auch immer. Evangelische Kirchenfürsten sind schon auf diesen Zug aufgesprungen und warnen vor christlichem Fundamentalismus — eine ziemlich elegante Art, den eigenen Ultraliberalismus unauffällig zu rechtfertigen. Wenn es nach diesen Herren ginge, bekämen wir wohl wieder mittelalterliche bzw. chinesische Verhältnisse, wo jeder, der sein Christsein außerhalb der offiziellen mit dem Staat in herzlicher Buhlschaft verbundenen Amtskirchen lebt, unter Acht und Bann getan wird.
Immerhin stellt Reinhard Bingener in der gestrigen F.A.Z. richtig fest:
Als christlicher Fundamentalist kann Breivik auch deshalb nicht gelten, weil er sich in seinem 1518 Seiten starken Schriftenkonglomerat so gut wie gar nicht darum bemüht, seine Ansichten aus der Bibel heraus zu begründen, was das wichtigste Kriterium für Fundamentalismus wäre. Für die wesentlichen Themen des christlichen Fundamentalismus — Irrtumslosigkeit der Bibel, leibliche Auferstehung, Sühnetod Christi — zeigt Breivik in seinem Pamphlet keinerlei Interesse.
Daß Breivik so unglaublich viele Menschen umbringen konnte, hätte, wie gesagt, weder Vorratsdatenspeicherung noch ein Zentralregister »auffälliger« Personen verhindert. Um den Schaden zu begrenzen, hätte die Polizei von Oslo ihren Urlaubsplan so gestalten müssen, daß nicht gerade alle in den Ferien sind, die den einzigen zur Verfügung stehenden Hubschrauber fliegen können. Sie hätte ihre Technik so in Schuß halten müssen, daß nicht gerade dann der Bootsmotor streikt, wenn die Antiterroreinheit zum Orte des Geschehens übersetzen will, so daß der Täter letztlich unglaubliche anderthalb Stunden lang völlig ungestört wüten konnte. Nicht eine perfekte, lückenlose Überwachung aller Bürger, sondern ganz normales, mühseliges Verantwortungsbewußtsein in der alltäglichen Polizeiarbeit, das einem, so lange man es treulich praktiziert, nie irgendjemand dankt, hätte die Morde, wenn schon nicht ganz verhindern, so doch wahrscheinlich wesentlich begrenzen können. Hier zeigt sich einmal wieder die Wahrheit des Wortes: »Auch wer sich lässig zeigt in seiner Arbeit, ist ein Bruder des Verderbers« (Spr. 18, 9).
Es hätte auch noch einen anderen, genauso unpopulären Weg gegeben, den Täter deutlich eher zu stoppen: Dies wäre der mündige, waffentragende Bürger gewesen. Die restrictiven Waffengesetze, die wir derzeit in Europa haben, bewirken nur eines: Kriminelle haben weiterhin die Möglichkeit, sich illegal mit Waffen einzudecken, während der gesetzestreue Bürger wehrlos ist. Ein strenges Waffenrecht, wie es die meisten europäischen Staaten haben, beschränkt also in erster Linie nicht die potentiellen Täter, sondern die potentiellen Opfer. Der Staat, der die Entwaffnung des Bürgers damit rechtfertigt, daß er ja dafür dessen Sicherheit garantiert, kann aber nicht überall sein. In der Schweiz oder in Israel wäre es sicherlich unmöglich, daß ein Täter Menschen reihenweise abschießt, ohne auf qualifizierten Widerstand zu stoßen, auch hätte es grundsätzlich eine abschreckende Wirkung, wenn Amokläufer oder Bankräuber immer damit rechnen müßten, daß ein Teil der Passanten — ob dies nun jeder vierte oder nur jeder zehnte ist — möglicherweise eine scharfe Waffe bei sich trägt. Private Waffen sind also nicht unbedingt nur ein Sicherheitsrisiko. In Belgien zum Beispiel liegt der legale private Waffenbesitz im Vergleich zu Deutschland bei nur knapp 57 Prozent (17,2 je hundert Einwohner im Vergleich zu 30,3); gleichzeitig liegt die belgische Zahl von Todesfällen durch Schußwaffengebrauch aber bei 358 Prozent (0,68 je hunderttausend Einwohner im Vergleich zu 0,19 in Deutschland). Um noch einmal Klonovsky zu Norwegen zu citieren:
»Nur wo solche strengen Gesetze herrschen, ist es einem einzelnen Irren möglich, dermaßen viele Unbewaffnete zum ungestörten Abknallen vorzufinden.«
Dies ist für die meisten Christen sicherlich ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke, aber es ist in Erwägung zu ziehen, daß Jesus in Lk. 22, 36 und 38 das private Tragen von Waffen durchaus nicht pauschal verurteilt. Statt solche Fragen in Ruhe zu erwägen, hören wir aber wieder spontane Rufe nach mehr Überwachung aller Bürger, wobei sich der Verdacht aufdrängt, daß die Prävention von schweren Straftaten wieder einmal nur vorgeschoben ist.
Es kursiert eine Liste im Netz, aus der hervorgeht, daß alle Diktaturen, die Massenmorde an Teilen der Bevölkerung verübt haben, in den Jahren zuvor den privaten Waffenbesitz untersagt oder zumindest drastisch eingeschränkt haben. Ich kann hier nicht jeden einzelnen Punkt verifizieren, die Grundaussage der Auflistung scheint mir jedoch unstrittig:
In der Sowjetunion wurde 1929 den Bürgern die Waffen entzogen, von 1929 bis 1953 wurden dann 20 Millionen Menschen umgebracht, weil sie abweichende Meinungen vertraten, Grundbesitz hatten oder einfach nur von ihren Nachbarn denunziert wurden. Die Türkei verbot den Waffenbesitz 1911 und ermordete zwischen 1915 und 1917 1,5 Millionen wehrlose Armenier. China verbot 1935 den Waffenbesitz und ermordete zwischen 1948 und 1976 etwa 20 Millionen tatsächliche und vermeintliche Regimegegner. Im September 1935 rühmte Hitler auf dem Reichsparteitag: »Als erste zivilisierte Nation haben wir ein Waffenregistrierungsgesetz. Unsere Straßen werden dadurch sicherer werden; unsere Polizei wird effizienter und die Welt wird unserem Beispiel in die Zukunft folgen!« Drei Jahre später wurde in Deutschland Juden durch die »Verordnung gegen den Waffenbesitz der Juden« der Besitz von Schuß-, Hieb- und Stoßwaffen verboten, eine Neuregelung des Waffenrechtes bewirkte ferner, daß der Waffenbesitz an »Zuverlässigkeit« geknüpft wurde, ein Begriff, der sich hervorragend politisch instrumentalisieren ließ, um Waffen von Regimegegnern fernzuhalten — die weitere Geschichte setze ich als bekannt voraus. Guatemala verbot das Waffentragen 1964 und vernichtete zwischen 1964 und 1981 100.000 Maya-Indianer. Idi Amin verbot 1970 den Bürgern Waffen und ließ zwischen 1971 und 1979 300.000 Christen umbringen. Ab 1975 wurden in Kambodscha zwischen ein und drei Millionen Wehrlose von den Roten Khmer umgebracht, wahrscheinlich ein Drittel der Bevölkerung — einige nur deshalb, weil sie eine Brille trugen, lesen konnten oder eine Fremdsprache beherrschten — um das Land in den kambodschanischen Steinzeitkommunismus zu führen, nachdem Pol Pot das Waffentragen verboten hatte.
Auch wenn restrictives Waffenrecht nicht in jedem Fall in eine mörderische Diktatur führen muß, ist doch umgekehrt festzustellen, daß der bewaffnete Bürger nicht nur ein Gegengewicht zu solchen Verbrechen wie dem norwegischen darstellen kann, sondern auch dem Allmachtsanspruch des Staates entgegensteht.*
Es gibt übrigens noch einen Nebenaspekt des Attentates auf Utøya, über den bisher nur sehr wenig zu lesen war: Einige der Opfer haben sich deshalb nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht, weil sie die Schüsse für einen Teil des Programmes hielten. Man war dort gerade mit einer Kauft-nicht-beim-Juden-Veranstaltung beschäftigt und dachte, die Schüsse gehörten zu einer »Simulierung israelischer Verbrechen an Palästinensern in den besetzten Gebieten«, mit der den Lagerteilnehmern die »Greuel der israelischen Besatzung« vor Augen geführt werden sollten.
Siehe zum Thema auch Hans Heckels Wochenrückblick.
* Nachtrag 14. 9. 12: Gerade habe ich zum Thema »Tod durch restrictives Waffenrecht« noch den folgenden Film der »Juden für die Bewahrung des Schußwaffenbesitzes« gefunden. Vorsicht: »Contains graphic images«, wie der Engländer zu sagen pflegt — enthält drastische Bilder, sehr drastische, in diesem Fall. Die dargestellten Fakten dürften aber unstrittig richtig sein:
Photo: © Geier