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Uwe Romeike im Interview: »… daß die Familie nicht auseinandergerissen wird …«
23. Mai 2012
Seit August 2008 lebt die schwäbische Familie Romeike in Morristown, Tennessee. Als Heimschulfamilie waren die Romeikes in Deutschland nicht mehr sicher, so daß sie mit damals fünf Kindern in die USA emigrierten, dort Asyl beantragten und in erster Instanz im Januar 2010 auch erhielten. Das Urteil von Richter Burman kann man ohne Übertreibung als Ohrfeige für den deutschen Sonderweg der radikalen Kriminalisierung von Heimschulfamilien bezeichnen. Zurecht hat es damals ein kleines Medienbeben ausgelöst, daß eine deutsche Familie Asyl in den USA erhält — nicht 1940, sondern siebzig Jahre später. Die Geiernotizen haben jetzt im Gespräch mit Uwe Romeike nachgehakt: Was ist aus der Sache inzwischen geworden?
In Deutschland hat es die Nachricht, daß ein Richter in Tennessee einer deutschen Familie Asyl gewährt hat, bis in die Leitmedien geschafft. Wie hat die Öffentlichkeit in den USA — die Presse, aber auch die Menschen, denen Sie begegnen — auf die Angelegenheit reagiert?
Durchweg positiv und unterstützend. Wir wurden sehr herzlich aufgenommen.
Neues Land, neue Sprache, neues soziales Umfeld — wie haben die Kinder damals die Umstellung verkraftet?
Unsere Kinder haben sehr schnell neue Freunde gefunden und auch mit der Sprache keine großen Schwierigkeiten gehabt. Wir haben, seitdem wir hier ankamen, den gesamten Unterricht auf Englisch gemacht.
Wie hat man sich den typischen Tagesablauf mit Heimunterricht vorzustellen?
Es ist nicht jeden Tag genau gleich, aber jeder hat seine Schulfächer (Englisch, Mathe, Sozialkunde, Biologie, Physik, Chemie, Bibelkunde) täglich zu erledigen. Nachdem unsere Tiere versorgt sind (Hund, Katzen, Hühner und Enten) haben wir gemeinsames Frühstück und eine Andacht. Danach geht jeder an seine Schularbeiten. Die Jüngeren brauchen noch viel Unterstützung, aber sobald sie gut lesen können, arbeiten zu Hause unterrichtete Kinder doch sehr selbständig.
Gibt es auch gemeinsamen Unterricht mit anderen Heimschulfamilien?
Einmal wöchentlich haben wir die Möglichkeit mit zahlreichen anderen Heimschulfamilien zu lernen und Spaß zu haben. Da gibt es ein breitgefächertes Angebot: Sport, Schauspiel, Geschichte, Spiele, Experimente u.v.m.
Was spricht gerade für die USA als Asylland?
Bildungsfreiheit!
Die Bundesstaaten der USA handhaben die Regulierung des Heimunterrichtes ja recht unterschiedlich. Gab es hier besondere Argumente, durch die sich Tennessee empfohlen hat?
Nicht das ich wüßte. Heimunterricht ist in allen Staaten möglich und zunehmend populär.
Was ist der aktuelle Stand des Asylverfahrens? Ist es mittlerweile rechtsgültig abgeschlossen?
In den letzten zwei Jahren hat sich nichts geändert. Wir warten immer noch auf den Abschluß des Verfahrens. Gegen die Gewährung des Asyls durch den Richter in Memphis wurde seitens des Staatsanwaltes Einspruch eingelegt. Das Verfahren könnte auch in eine nächste Instanz weitergeleitet werden, so daß wir möglicherweise noch Jahre warten müssen, bis das ganze zum Abschluß kommt.
Hat es Versuche diplomatischen Druckes aus Deutschland gegeben um das Verfahren zu beeinflussen?
Das kann ich nicht mit Sicherheit beantworten, weil dazu offiziell nichts gesagt wurde, aber Zeitungen haben hier berichtet, daß das deutsche Generalkonsulat in Atlanta »sich der Sache annehmen« würde — was auch immer das bedeutet. Wir haben aber auch gehört, daß ein solcher Einspruch des Staatsanwaltes gegen einen Asylbescheid eine übliche Routine wäre.
Wie wirkt sich diese Unsicherheit um das Asylverfahren auf die Familiensituation aus? Fühlen Sie sich »angekommen« oder immer noch wie auf der Flucht?
Seit wir mit Homeschooling in Deutschland angefangen haben, sind manche Sachen in der Schwebe. Erst wußten wir nicht, wie lange wir noch in Deutschland bleiben könnten, und seit wir hier sind, wissen wir nicht, wie lange wir hierbleiben können. Auf der anderen Seite gewöhnt man sich im Laufe der Zeit auch an so etwas und lebt sein Leben weiter. Und das tun wir jetzt: Wir gehen nicht davon aus, daß wir hier überstürzt wieder wegmüßten, aber es bleibt immer ein gewisser Rest an Unsicherheit.
Und wovon lebt die Familie?
Ich arbeite hier wie auch schon in Deutschland als Klavierlehrer und so kommen wir hier soweit zurecht.
Um auf Ihre Flucht aus Deutschland zurückzukommen — ich denke, Flucht ist der angemessene Ausdruck — was wären die Konsequenzen gewesen, wenn Sie in Deutschland geblieben wären?
Wir sind in erster Linie deshalb gegangen, weil sich damals die Rechstslage insofern geändert hatte, als das Jugendamt mehr Freiräume bekommen hatte, Kinder ohne richterlichen Beschluß aus den Familien herauszunehmen, so das sie einfach kommen und das Sorgerecht entziehen konnten. Das war für uns ausschlaggebend. Anderen Familien wurden Gefängnisstrafen angedroht oder sie haben sie tatsächlich absitzen müssen, die Geldstrafen sind immer höher geworden — schon das sind Dinge, die man möglichst vermeidet, aber der Hauptgrund war, daß wir nicht wollen, daß die Familie auseinandergerissen wird.
Haben Sie mit dem Thema Deutschland also endgültig abgeschlossen oder kommt eine Rückkehr nach Deutschland in Frage, wenn die Kinder aus dem schulpflichtigen Alter herausgewachsen sind?
Das wären noch viele, viele Jahre. Wir haben hier im letzten Jahr noch eine Tochter bekommen. Nachdem wir uns hier eingelebt und eingearbeitet haben, würden wir lieber hierbleiben als dann später noch einmal von vorn anzufangen. Auf der anderen Seite lebt der Rest der Verwandtschaft in Deutschland, und das ist schon ein schmerzlicher Bruch. Im Moment sehen wir jedenfalls keine Möglichkeit zurückzugehen.
Gibt es einen Plan B für den Fall, daß der Asylantrag von einer späteren Instanz abgelehnt würde?
Nein, es gibt keinen anderen Plan.
Und wie groß ist die Gefahr, daß der Asylantrag doch noch scheitert?
Da es keinen ähnlichen oder gleichen Fall gibt, kann man das nicht vorhersagen, aber wir hoffen und beten und gehen davon aus — wir sind im August seit vier Jahren hier — daß man uns in dem Fall nicht einfach ’rauswirft, sondern zumindest eine Duldung gewährt, aber auch das ist mit Sicherheit nicht zu sagen, wir müssen einfach abwarten.
Ich danke für das Gespräch und bin sicher, daß auch viele Leser für den Ausgang des Verfahrens beten werden. Machen wir’s wie der Konsul — nehmen wir uns der Sache an!
Photo: © Romeike