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Morbus Parkinson
23. Februar 2011
Schwierige Bibelstellen VI: Eph. 4, 10
Der Hinabgestiegene, er, er ist auch der Hinaufgestiegene oben über all die Himmel, auf daß er die alle vervollständige.
Eph. 4, 10
Um den Sinn dieses Verses zu verstehen, ist eine gute Übersetzung von einiger Wichtigkeit. Wenn hier am Ende des Verses übersetzt wird »… auf daß er alles erfülle« ist das zwar nicht ganz falsch, aber es geht doch etwas entscheidendes verloren. Denn das Wort πληρόω beschreibt, daß etwas unvollständiges zur Vollständigkeit gebracht wird, so etwa, als wenn ein halbvolles Glas zur Gänze gefüllt oder einem Puzzle das fehlende Teil hinzugefügt wird. Bewegen wir uns aber lieber innerhalb biblischer Bilder: Es geht hier darum, wie der Christos als Haupt über die Seinen gesetzt wird, die dadurch von unvollständigen Wesen zu vollständigen, ganzen, wiederhergestellten — eben vervollständigten werden. Umgekehrt wird auch der Christos selbst durch das Hinzufügen von Gliedern schrittweise vervollständigt.
Um diesen etwas abstract erscheinenden Sachverhalt auf unsere Lebenswirklichkeit herunterzubrechen, vergleicht ihn Paulos mit der Ehe: Als im Verlauf des Erschaffens des Menschen dem Adam eine Zelle (Luther übersetzt hier »Rippe«) entnommen wird, um daraus das Weib[G] zu erschaffen, ist Adam zunächst unvollständig. Indem das Weib ihm aber in der Ehe wieder hinzugefügt wird, wird Adam nun wieder vervollständigt, und auch das Weib wiederum wird vollständig gemacht, indem es Adam als Haupt erhält. Einer der wesentlichen Gründe, warum Jahweh dies so geordnet hat, besteht darin, mit der Ehe ein lebensnahes Vorbild zu schaffen, das allen Nationen, Kulturen und in allen Zeitaltern geläufig ist, um das Verhältnis des Christos zur Herausgerufenen[G] prophetisch-bildhaft zu erklären. Paulos verweist deshalb (z. B. in 1. Kor. 11, 8f) auf diesen Erschaffenszweck: »Denn nicht ist der Mann aus dem Weib, sondern das Weib aus dem Mann; denn auch nicht wurde der Mann wegen des Weibes erschaffen, sondern das Weib wegen des Mannes.« Damit bezieht er sich auf 1. Mose 2, 18: »Und Jahweh Elohim sprach: Nicht gut ist das Werden des Adam für sich allein; ich will ihm eine Hilfe machen als seine Gegenwart.« Wer nun nicht versteht, warum Gott den Menschen zu zwei Geschlechtern erschaffen hat, wird nie erfassen können, was das Neue Testament uns als Zentrum dieser Zweierbeziehung vorstellt: Die Analogie zwischen Mann und Weib auf der einen und Christos und der Herausgerufenen auf der anderen Seite — das Geheimnis, das uns Paulos in Eph. 5, 32 vorstellt: So wie der Christos seinen Wirkungsbereich potenziert, indem er als Haupt, das in den Himmeln ist, viele Glieder auf der Erde hat, die auf ihn sehen und seine Werke tun, so hat auch Adam als Vorbild auf den Christos hin (in weit geringerem Maße) eine Mehrung seines Wirkungsbereiches erfahren, indem ihm eine zweite Hälfte beigestellt wurde, die ihn wieder vervollständigt und es ihm erlaubt, zumindest an zwei Stellen gleichzeitig zu wirken. Dies ist nicht gedacht, um seiner Bequemlichkeit zu dienen, sondern soll ihn in die Lage versetzen, seinen Dienst gegenüber Jahweh besser, umfassender, tiefer zu versehen. Für die Wirksamkeit dieser Mehrung ist es nun zwingend notwendig, daß jene zweite Wesenshälfte auch tatsächlich kein abgekoppeltes Eigeninteresse verfolgt, sondern das ihres Hauptes, daß sie mit diesem zusammenarbeitet und nicht etwa gegen dieses oder auch nur unabhängig von diesem, weil sonst die Mehrung ganz schnell in eine Minderung umschlägt und der Zweck ihres Erschaffenwerdens — daß Adam eine Hilfe hat — verfehlt wird.
Wir haben nun zwei biblische Bilder: Das von Mann und Weib sowie das von Haupt und Gliedern, und beide weisen hin auf Christos und die Herausgerufene.
F. H. Baader schreibt*:
»Das hebräische Wort KaLa´H, das auch mit Alldahinsein wiederzugeben ist, offenbart durch seinen gegensätzlichen Begriffsinhalt alldahinmachen und vervollständigen, daß jedes vollkommene Sein das völlige Aufhören des vorausgehenden Seins bedingt. Vollständiges wird nur unter Aufgabe alles anderen, d. h. im persönlichen Bereich nur unter völliger Hingabe des Selbst, erreicht. Das zeigt sich besonders in der dritten begrifflichen Bedeutung des Wortes KaLa´H, das auch für eine Braut verwendet wird. Die Braut ist die sich völlig Hingebende, die Aufhörende, ein Selbst zu sein, weil sie als Vervollständigung zum Teil des Mannes wird. … In der Geschriebenen des Neuen Bundes zeigt sich der Christos als die bezüglich allem gegebene Vervollständigung aller und die Herausgerufene als Vervollständigung des Christos (Eph. 1, 23) …«
Was aber geschieht, wenn ein Glied des Leibes nicht (mehr) bereit ist, sich selbst aufzugeben und dem Haupt nachzufolgen? Es ergibt sich ein sehr unschönes Bild, das man etwas vergröbernd** mit der Parkinson-Krankheit vergleichen könnte: Die Glieder entwickeln ein Eigenleben und werden ihrem Erschaffenszweck — den Wirkungsbereich ihres Hauptes zu erweitern — nicht mehr gerecht. Durch ihre Eigenständigkeit bringen sie nicht Ehre, sondern Schande auf ihr Haupt; sie sind ihm weder Hilfe noch Erweiterung, im Gegenteil, sie werden zu einer Beschränkung. Denn das Haupt, das sich nicht mehr auf das »Funktionieren« seiner Glieder verlassen kann, muß seine Kraft nun auf deren Zurechtbringung verwenden, statt seinen Dienst durch deren Mithilfe wachsen zu sehen. Es hat keinen Zuwachs an Kraft und Reichweite, sondern einen Verlust: Die von Gott vorgesehene Mehrung der Frucht schlägt in eine Minderung um.
Diese Wirkmechanismen sind auf allen dreien der prophetisch verknüpften Ebenen, die wir hier betrachten, ähnlich: Auf der Ebene des Leibes, auf der Ebene der Ehe und auf der Ebene des Christos mit der Herausgerufenen.
Auf der Leibesebene kennt jeder, der schon einmal mit Parkinson-Patienten zu tun hatte, den Kontrollverlust über die Glieder, die der jeweiligen Person buchstäblich den Dienst verweigern. Die Beine, die den Körper transportieren sollen, bringen ihn stattdessen zu Fall. Die Hand zum Beispiel, die das Glas zum Mund führen soll, verschüttet stattdessen den Inhalt. Der vom Haupt geplante Nutzen wird so in einen Schaden verwandelt.
Auf der Ebene der Ehe sieht es nicht anders aus. Ringen die Eheleute um die Hauptschaft, blockieren sie sich gegenseitig und verschleißen nutzlos Jahre und Kräfte, die dann für Wachstum und Frucht fehlen. Ein Ehepaar, in dem die Hauptschaft nicht klar schriftgemäß definiert ist und gelebt wird, ist wie ein Parkinson-Kranker, der mit dem Tremor seiner Glieder kämpft: Er ist »lahmgelegt« in Bezug auf normales Arbeiten und hat kaum Freiraum, anderen zu dienen. Paulos erklärt deshalb, daß es dem Weib nicht gestattet ist, selbstbezogen zu sein (1. Tim. 2, 12), das heißt, andere Ziele zu verfolgen als die des über sie gesetzten Hauptes. Übersetzt wird hier oft: Es ist ihr nicht gestattet, den Mann zu beherrschen. Tatsächlich steht hier mit αύϑεντέω [autenteo] ein Wort, das etwa »selbstisch« bedeutet (es ist zum Beispiel verwandt mit dem Wort »authentisch«, das regelmäßig im Dunstkreis von Selbstverwirklichungsphantasien auftaucht). Paulos bezieht sich hier auf das oben umrissene Schöpfungsmodell: Da es Aufgabe des Weibes ist, den Dienst ihres Hauptes zu unterstützen und helfend zu begleiten, würde sie den Zweck ihres Erschaffens und auch den prophetischen Sinn der Ehe verleugnen, so sie sich außerhalb dieser Hauptschaft eigenständig Zielsetzungen und Aufgaben suchte oder gar in völliger Umkehrung der biblischen Ordnung »selbstisch« Zielsetzungen definieren und ihren Mann für diese instrumentalisieren würde. Geschieht dies, weil der in 1. M. 2, 18 für die Ehe umrissene Rahmen grundsätzlich verleugnet und eine »nur« unterstützende Position dem Mann gegenüber aus emanzipatorischen Erwägungen heraus abgelehnt wird, ist solches Verleugnen der geistlichen Ehebasis als Brechen der Ehe anzusehen. Denn die als Gottes Zweck für die Ehe vorgesehene Vervollständigung des Menschen zu einem erweiterten Ganzen kann auf diese Art nicht stattfinden; von der Ehe bleibt bestenfalls eine Wohngemeinschaft übrig.
Dieser emanzipatorische Gegenentwurf zur Ehe genießt aber selbst in »christlichen« Kreisen einigen Respekt: Gerade habe ich in einem Interview mit der Chefredakteuse einer »christlichen« Zeitschrift gelesen, daß ihr Ehemann bekennt: »Mein Job ist es, meiner Frau zu helfen, damit sie ihrer Berufung folgen kann«. So frömmlich und nett das auch klingt: Geistlich betrachtet ist es eine unglaubliche Obszönität, ist dies doch der Schöpfungsordnung diametral entgegengeordnet. Sehen wir in die Bibel: Es ist dies die klassische Isebel-Ahab-Konstellation. Aber genau so — wenn wir uns von der Betrachtung der Ebene Mann / Weib wieder der Ebene Christos / Herausgerufene zuwenden — funktioniert »Gemeinde« heute häufig: Hier finden wir das riesige Heer derjenigen, die zwar den Namen des Christos tragen wollen, aber nicht bereit sind, seinem Wort gehorsam zu werden. Den pietistischen Zinzendorf-Klassiker »Jesu geh voran« haben sie im Hinterkopf längst umgearbeitet: »Herr, ich geh voran / auf der Lebensbahn / und du wollest nicht verweilen / mir getreulich nachzueilen …«. Sie bauen zwar, aber sie bauen ihre eigenen Reiche. Sie leben in einer Wohngemeinschaft mit Jesus und fressen auch gern den Kühlschrank seiner Segnungen leer, aber ihre Lebensentscheidungen treffen sie lieber selbst. Wie Isebel den Ahab, so wollen sie Jesus zum Erfüllungsgehilfen ihrer eigenen Wünsche machen — und es wird kein Deut besser dadurch, daß dies durchaus auch religiöse Wünsche sind. So bauen sie ihre Denominationen,[G] schieben das Ergebnis Gott in die Schuhe und fügen dadurch seinem Reich mehr Schaden als Nutzen zu. Man kann heute mit Berechtigung sagen, daß die Kirchen und die durch sie verbreitete »Volksfrömmigkeit« das größte Hindernis dafür sind, Menschen wirklich mit dem Evangelium zu erreichen. Denn die meisten meinen ja schon zu wissen, was es mit dem Evangelium auf sich habe, in Wirklichkeit sind sie aber einem Pseudo-Evangelium aufgesessen. Wären sie gänzlich unwissende, könnte man sie viel leichter erreichen, als nun, da sie Pseudo-Wissende sind und meinen, des Evangeliums nicht mehr zu bedürfen.
Wie beim Parkinson-Kranken wird auch hier durch solche faktische Rebellion der Glieder gegen das Haupt die Nützlichkeit und Fruchtbarkeit des ganzen Leibes unwirksam gemacht.
* F. H. Baader, Prophetie der Bibel, Bd. I, Schömberg 1991
** Mir ist durchaus bewußt, daß bei Morbus Parkinson die Glieder sich nicht aus Eigenwilligkeit heraus entscheiden, dem Haupt zu widerstehen, sondern aufgrund komplexer neurologischer Vorgänge die gesunde Kommunikation zwischen Haupt und Gliedern gestört ist. Insofern hinkt der Vergleich natürlich — wie dies jeder Vergleich an irgendeiner Stelle tut.