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Gedankenpolizei
2. Oktober 2009
Die Europäische Union fördert mit Millionenbeträgen ein auf fünf Jahre angelegtes Forschungsprogramm mit der Bezeichnung »Project Indect«, das darauf abzielt, Computerprogramme zu entwickeln, die als »Agenten« wirken, um Informationen von Netzseiten, Diskussionsforen, Servern, Netzwerken und sogar von privaten Rechnern zu überwachen und an Behörden weiterzureichen. Dies berichtete die Zeitung »Telegraph« vom 19. September.
Die Zeitung spricht von einer künstlichen Intelligenz Orwellschen Formates, die das Internet und die Aufzeichnungen von Überwachungskameras durchkämmen soll, um »Bedrohungen« und »auffälliges Verhalten« zu identifizieren. An den Projekt, das mit ca. 11 Millionen Euro gefördert wird, sind neben der Nordirischen Polizei und Computerspezialisten der Universität York auch Collegen in neun anderen europäischen Ländern beteiligt.
Shami Chakrabarti, Direktorin der Menschenrechtsorganisation »Liberty«, wird mit den Worten citiert, daß die Einführung solch massiver Überwachungstechnologie schon auf nationaler Ebene ein unheimlicher Schritt sei, im europäischen Maßstab jedoch absolut beängstigend. Die EU ist momentan extrem bemüht, sich die Zuständigkeit für die Innere Sicherheit der Mitgliedsstaaten auf den Tisch zu ziehen und hat ihr Budget in diesem Bereich auf beinahe eine Milliarde Euro erhöht. Die Europäische Kommission fordert eine gemeinschaftliche Strafverfolgung in der EU (siehe auch Geiernotiz vom 13. 3.).
Das hauptsächliche Problem besteht darin, daß es in der EU — anders als in den meisten westeuropäischen Nationalstaaten — keinerlei verläßliche Kontrollmechanismen gibt, die ausschließen könnten, daß dieses unglaubliche Machtpotential, das sich aus der Summe von Europäischem Haftbefehl und totaler Überwachung ergibt, politisch mißbraucht werden könnte. Denn überwachen würde ein solches System nicht nur Verdächtige, sondern alle Bürger. Innerhalb der Nationalstaaten wird der allmähliche europäische Machtzuwachs aber kaum öffentlich wahrgenommen und ist kein Bereich, der einer direkten demokratischen Meinungsbildung oder gar Kontrolle zugänglich wäre. Trotzdem zahlen die Bürger Europas mit ihren Steuergeldern für solche Projekte.
In diesem Zusammenhang sollte der Blick auch auf das »EU Joint Situation Centre« (SitCen) gelenkt werden, eine nahezu völlig unbekannte Institution, die aber in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung zugenommen hat, sich zunehmend von einem Nachrichtendienst zu einem Geheimdienst entwickelt und das Potential besitzt, sich zu einer Art »europäischer CIA« zu mausern. An einer ausreichenden demokratischen Kontrolle durch die Mitgliedsstaaten fehlt es allerdings bisher auch hier.
Nachtrag 20. 1. 11 — weitere Links zum Thema:
Artikel auf Telepolis
Artikel in der »Zeit«
Artikel in der »Süddeutschen«
Photo: © Geier