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Integration und Segregation


By Geier - Posted on 23 Dezember 2009

23. Dezember 2009

 

Zum Beispiel Brückensanierung: Bevor wieder aufgebaut werden kann, müssen manchmal erst die destructiven Jungs mit den Schneidbrennern kommen und alles auseinandernehmen.

 

 

In letzter Zeit habe ich gelegentlich über das Verhältnis der Herausgerufenen [G] zu Integration und Segregation nachgedacht. Mit Integration meine ich die Herstellung von Einheit, von Übereinstimmung, auch das »Zusammenstimmen«, (für welches das Hellenisch des Neuen Testaments das schöne Wort »Symphonesis« gebraucht, wenn auch jeweils nur in der Verneinung, also um darzustellen, daß da etwas gerade nicht »zusammenstimmt«). Mit Segregation meine ich die Absonderung, die Trennung. Sowohl Integration als auch Segregation sind im derzeitigen Zeitalter christosgemäß, wofür zum Beleg wenige Beispiele ausreichen sollen, die sich leicht in großer Zahl ergänzen ließen:

Beim »integrativen Christos« denken wir z. B. an Mt. 9, 11, wo sich Jesus vorwerfen lassen muß, mit den Zöllnern und Verfehlern zu essen. Freilich erwidert er, daß nicht die Starken der Heilung bedürfen, sondern »die es übel habenden«. Wir denken an das samaritische Weib in Joh. 4 und an die Kinder in Mt. 19 oder an Joh. 17, 22f.

Beim »segregativen Christos« denken wir an seinen Umgang mit denjenigen, denen andere Dinge wichtiger waren als die Nachfolge (Lk. 9, 62, Mt. 8, 22), an die Händler im Tempel (Joh. 2, 15) oder an die Aussage in Lk. 12, 49: »Ich kam, um Feuer auf das Erdland zu werfen, und was will ich anderes, als wenn es doch schon hinaufgezündet würde!«

So weit, so gut. Da wir nun wissen, daß jeder Wesenszug des Christos auch von der Herausgerufenen [G] ausgedrückt werden soll, müßte ja eigentlich sowohl das integrative als auch das segregative Element in der Herausgerufenen [G] zu finden sein. Und tatsächlich: Von den ersten Christen lesen wir, daß sie zwar im Volk sehr anerkannt waren, daß dieses aber auch Furcht hatte, sich ihnen (aus unlauteren Motiven heraus) anzuschließen (Apg. 5, 13). Und auch in den Briefen der Apostel finden wir jedenfalls ohne Mühe viele Beweise für die beiden gegenläufigen Elemente.

Das Problem ist nun, daß in heutigen Versammlungen der segregative Anteil des Evangeliums zugunsten des integrativen Anteils stark zurückgedrängt wird. Grund dafür ist die starke Humanisierung der Gemeinden: Die Ausrichtung auf Christos weicht immer mehr einer Ausrichtung auf die menschlichen Bedürfnisse. Wenn ich »menschliche Bedürfnisse« sage, dann meine ich hier: Die Wünsche des (religiösen) Fleisches. Und diese scheinen zwar auf den ersten Blick mit dem »integrativen Christos« kompatibel zu sein, keinesfalls aber mit dem segregativen, der Absonderung und Nachfolge verlangt. Also verkündigt man den einen Teil und verschweigt den anderen. Das perfide daran ist: Da ja jeder sehen kann, daß Christos immer noch verkündigt wird (wenn eben auch nur der halbe), fällt das erst einmal gar nicht weiter auf; man meint auf den ersten Blick, es immer noch mit einer regulären christlichen Versammlung zu tun zu haben. Die Abwesenheit gesunder Lehre ist bei weitem unauffälliger als die Anwesenheit von Irrlehre es wäre (und selbst diese wird ja heutzutage oft kaum noch erkannt).

Passend zu dieser Verschiebung der Schwerpunkte wird der Hirtendienst einseitig gegenüber dem Lehrdienst und dem prophetischen Dienst herausgestellt. Ein Hirt, der die Schafe zusammenhalten muß, wird stärker integrativ ausgerichtet sein; ein Lehrer, der weniger personen- sondern mehr faktenorientiert ist, wird eher auf Absonderung, z. B. von den Verhaltensweisen, die der Welt zugehörig sind, dringen müssen. Für einen Propheten, dessen Dienst darin besteht, Fehlentwicklungen bloßzustellen, haben die konsensverliebten Integrateure nun schon überhaupt keine Verwendung mehr. So kommt es, daß vor lauter integrativer Gesinnung bald alles integriert wird, was nicht niet- und nagelfest ist. Unter dem Vorwand, möglichst viele Menschen gewinnen zu wollen, die »sonst nie einen Fuß in eine Gemeindeversammlung setzen würden«, werden nach und nach Gepflogenheiten der Welt integriert, um die Hemmschwelle möglichst niedrig anzusetzen. Der »schmale Weg« wird unmerklich Zoll um Zoll verbreitert. Und wieder regt sich kein Widerstand: Den Lehrern und Propheten ist das Wort ja schon entzogen, und wer hat jetzt schon noch den Durchblick, zu erkennen, wo der stromlinienförmige Integrationsexpreß hinfährt und gar den Mut, sich querzustellen, wo es doch gilt, so viele Menschen für Christus zu gewinnen.
Man möchte gern pflanzen, aber wehe, es will jemand jäten. Man möchte gern »Gemeinde bauen«, und jeder, der da mit dem Abrißbagger vorfährt, wird als Störenfried empfunden. Dabei belehrt uns das Wort darüber, daß sowohl das Bauen als auch das Zerstören seine Berechtigung hat (Pred. 3, 1 — 8). Wenn das, was »aus dem Fleisch heraus« gebaut ist, nicht abgerissen wird, kann niemals im Geist gebaut werden. Aber man will die Maurerkelle ergreifen, jedoch nicht das Schwert (Neh. 4, 16 — 18; andere Verszählung 4, 10 — 12). So aber kann man das zerstörte Jerushalajim nicht wieder aufbauen. Und während Jesus gesagt hat: »Treibe  vorher aus deinem Auge den Balken hinaus, und dann wirst du durchblicken, um hinauszutreiben das Spänlein aus dem Auge deines Bruders« (Mt. 7, 5), zielen Predigten zu diesem Text häufig darauf hin, daß sowohl Balken als auch Spänlein schön dort bleiben, wo sie sind, um nur ja keine Unruhe zu verbreiten. Notwendige Grenzsetzungen werden vermieden, um »niemanden zu verletzen«. Dabei ist solcher Humanismus in seiner Konsequenz zutiefst menschenverachtend: Der Verfehler wird in seiner Verfehlung bestätigt. Da ihn niemand aufrüttelt, hat er wenig Anlaß, umzukehren und seine Seele zu retten. So erreicht der religiös verbrämte Humanismus das Gegenteil dessen, was er vorgibt. Vielleicht gewinnt er einige »für die Gemeinde«, aber niemanden für Christus.
Besonders beliebt bei den Integrateuren ist das Wort aus Mt. 7, 1f: »Nicht richtet, auf daß ihr nicht gerichtet werdet, denn mit dem Urteil, mit dem ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit dem Maß, mit dem ihr messet, wird euch gemessen werden.« Gern wird dieses Wort dazu gebraucht, Christen ihr Urteilsvermögen abzuerziehen. Dabei richtet sich dieses Wort gegen das Maß-lose Aburteilen von Menschen, durchaus nicht gegen das Beurteilen von Verhaltensweisen und Sachverhalten. Es bleibt dabei: »Der geistliche [Mensch] beurteilt alles« (1. Kor. 2, 15) und: »Habt keine Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, vielmehr überführt diesbezüglich!« (Eph. 5, 11).

 

Hierzu passend, habe ich im Netz letztens einen Text von A. W. Tozer gefunden. Einleitend schreibt Georg Walter unter dem Titel »Wie der Teufel eine Stadt einnimmt« dazu:

»A. W. Tozer (1897 — 1963) beobachtete bereits vor Jahrzehnten, wie der Evangelikalismus Probleme mit dem Wächterdienst hat. Der Wächterdienst kommt dann zum Erliegen, wenn man Christen ständig einredet, sie dürften nicht mehr prüfen — indem man das biblische Gebot »richtet nicht« aus dem Zusammenhang reißt — oder ihnen sagt, das Prüfen sei eine »negative« Haltung und als Christ solle man schließlich eine positive Haltung pflegen. Schon zu den Lebzeiten Tozers galten alle Verkündiger des wahren Evangeliums als Spalter und Unruhestifter. Unsere heutige Zeit unterscheidet sich in diesem Punkt wenig von der Zeit, in der Tozer lebte. Was uns heute jedoch von den damaligen Evangelikalen unterscheidet, ist ein so starkes Streben nach Einheit, dass man sich ernsthaft prüfen sollte, wem wir heute mehr glauben: dem lebendigen Wort Gottes oder den Einflüsterungen Satans.«

 

Im folgenden einige Auszüge aus dem Kapitel »Kontroversen können einem heiligen Zweck dienen« von A. W. Tozer*:

Um eine Stadt einzunehmen, muß der Feind zunächst ihren Widerstand schwächen oder brechen; das Gleiche gilt für die evangelikale Bewegung, zu allen Zeiten und an allen Orten. Für Satan ist es unmöglich, die Festung Gottes einzunehmen, solange treue Wächter auf ihren Mauern stehen, um ihre Soldaten zum Kampf zu rufen. Die Gemeinde wird niemals fallen, solange sie widersteht. Das weiß der Teufel; folglich ist ihm jede Strategie recht, um ihren Widerstand zu brechen.

Heute jedoch ist Satans Strategie verschieden. Obgleich er noch die alten Methoden anwendet, wo immer man ihn gewähren läßt, so wendet er doch eine effektivere Methode an, um unseren Widerstand zu lähmen, indem er an unsere Tugenden appelliert, insbesondere an unsere Nächstenliebe.

Zuallererst bringt er eine Gefühlsduselei hervor, die der Vorstellung, wer Christus ist, völlig unangemessen ist; Christus wird als sanft, lächelnd und tolerant dargestellt. Der Feind erinnert uns daran, daß Christus als ein »Lamm zur Schlachtbank geführt wurde … und er seinen Mund nicht auftat«, um uns dann weismachen zu wollen, daß wir ebenso handeln sollen. Wenn wir dann merken, daß er einen Fuß in unser Haus gesetzt hat und wir ihm widerstehen, dann appelliert er an unser Verlangen, christusähnlich sein zu wollen. »Du darfst nicht negativ denken«, sagt er uns. Jesus sagte: »Wer nicht gegen uns ist, ist für uns.« Und er sagte auch: »Richtet nicht, und wie kannst du ein guter Christ sein und ein kritisches Urteil über das Reden und Handeln anderer Christen abgeben? Kontroversen spalten den Leib Christi. Die Liebe ist von Gott, meine Kinder, also liebt jeden, und alles wird gut sein.«

So redet der Teufel und verdreht die Heilige Schrift zu seinen Zwecken. Es ist mehr als tragisch, wie viele unter Gottes Volk auf diese liebliche Rede hereinfallen. Der Hirte fürchtet sich davor, seinen Stab einzusetzen, und der Wolf schnappt sich die Schafe. Der Wächter wird verzaubert und glaubt, es gäbe keine Gefahr mehr, und so wird die Stadt kampflos eingenommen. Auf diese Weise zerstört Satan uns, indem er an unsere Tugenden appelliert.

Laß einen Mann aufstehen, der die einzigartige Botschaft, daß Jesus Christus Herr ist, und die absolute Notwendigkeit des Gehorsams ihm gegenüber verkündigt, und sofort wird dieser Mann als Verbreiter von Haß und als Spalter von den Menschen gebrandmarkt werden. Der Teufel hat so erfolgreich Gehirnwäsche an einer Großzahl geistlicher Leiter vollzogen, daß sie nun zu ängstlich geworden sind, dem Teufel zu widerstehen. Und der Teufel, ganz wie er in seinem Wesen ist, zieht aus ihrer Feigheit jeden Vorteil und errichtet allerorts seine Baalsaltäre.

Die Bibel ist ein Buch von Kontroversen. Die alttestamentlichen Propheten waren Männer, die Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg gingen. Als unser Herr in dieser Welt wandelte, stand er in einem tödlichen Konflikt mit dem Teufel. Die Apostel, die Kirchenväter und die Reformatoren waren kontroverse Männer. Bis aufs Blut bekämpften sie den Teufel und hielten für die nachfolgenden Generationen die Fackeln der Wahrheit am Brennen.

Wird unser Beitrag in der Geschichte als unehrenhaft eingehen, weil wir es zugelassen haben, daß die Fackeln der Wahrheit erloschen?

*A.W. Tozer, The Set of The Sail, Christian Publications, Camp Hill, Pensylvania, 1986, Auszüge aus Sn. 114 bis 116

 


Photo: © Geier

 

 

 

Nachtrag 18. 1. 2010: Gerade habe ich in einer älteren Zeitschrift einen ganz ähnlichen Artikel von Gerrit Alberts gefunden, den der eine oder andere vielleicht ergänzend zum Thema lesen möchte. Er findet sich ab Seite 14 und heißt »Söhne des Donners und Söhne des Trostes — Abgrenzung und Integration«.

 

 

 

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