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Schrift und Geschriebenes
24. März 2012
Als amerikanische Soldaten in Afghanistan im Februar in einem Gefängnis beschlagnahmtes Material verbrannten, waren auch Quran-Exemplare unter diese Papiere geraten. Das hätte ja schon gehörig Ärger gegeben, wenn es in Deutschland passiert wäre: Papier verbrennen unter freiem Himmel, Rauch produzieren und Feinstaub, ohne die vorgeschriebenen Filteranlagen, mit denen eine deutsche Müllverbrennungsanlage ausgerüstet zu sein hat, verstößt erstens gegen das Bundes-Emissionsschutz-Gesetz, zweitens ist es Frevel gegen die staatlich verordnete Klima-Religion. Da hätte man sich schnell eine Ordnungsstrafe eingehandelt. In Afghanistan wird das aber noch einmal ganz anders bewertet: Als einige Afghanen die Quranschändung bemerkten, machten sie dies publik, und das Land wurde von einer blutigen Protestwelle erfaßt, der bisher schon über dreißig Menschen zum Opfer fielen.
Der Amoklauf eines Soldaten kurz darauf im März, bei dem sechzehn oder siebzehn Afghanen ums Leben kamen, unter ihnen viele Kinder, hat zwar auch zu Protesten geführt, aber diese scheinen nicht annähernd so heftig ausgefallen zu sein. Zählen Menschenleben in Afghanistan also weniger als bedrucktes Papier? Nun gibt es keine Maßeinheit für Empörung, und auch die Zahl der Toten im Gefolge der Proteste ist kein Indikator im mathematisch exakten Sinne. So scheint es einerseits zwar offensichtlich, daß ein verbrannter Quran die afghanischen Gemüter stärker erhitzt als ein erschossenes Kind, nachzuweisen ist es indes nur schwer.
Unbestritten ist aber: Als die US-Armee vor drei Jahren in Afghanistan Bibeln verbrannte, gab es überhaupt keine wahrnehmbaren (und natürlich schon gar keine gewalttätigen) Proteste, in Afghanistan ohnehin nicht, aber auch nicht in der westlichen Welt. Was war damals geschehen? Christen, die in der Armee dienen, hatten sich aus der Heimat Bibeln in den afghanischen Landessprachen Paschtu und Dari schicken lassen, offensichtlich, um diese unter Einheimischen zu verteilen. Es gibt aber ein striktes Missionsverbot für die amerikanischen Truppen. Als die Sache mit den Bibeln bekannt wurde, wurden diese beschlagnahmt und verbrannt. Das Kalkül der Heeresleitung war: Falls ruchbar würde, daß die Truppen Bibeln ins Land bringen, würde dies wieder zu gewalttätigen und potentiell tödlichen Protesten führen. Die Abwägung war klar: Ehe man Menschenleben riskiert, verbrennt man lieber die Bücher.
Heißt das, daß Christen weniger Achtung vor der Bibel haben als Moslems vor dem Quran? Es ist dies nicht unbedingt eine Frage der Achtung, sondern eine Frage der Differenzierung. Das Griechisch des Neuen Testaments unterscheidet deutlich zwischen Inhalt und Form des Wortes Gottes, zwischen γραφη [Graphe] und γράμμα [Gramma], zwischen dem Geschriebenen und der Schrift.
Über die inhaltliche Substanz (γραφη) wird gesagt: »All die Geschriebene ist gottgegeistet und nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Hinaufberichtigung, zur Erzüchtigung, ja zu der in Gerechtigkeit …« (2. Tim. 3, 16). Während dieses Wort Gottes »Leben und Heilung für den ist, der es findet« (Spr. 4, 20ff) heißt es über dessen äußere Form (γράμμα): »Er macht uns auch tauglich zu Dienern des neuen Bundes, nicht der Schrift, sondern des Geistes; denn die Schrift bringt um, aber der Geist macht leben« (2. Kor. 3, 6).
Die Bibel selbst unterscheidet also sehr scharf zwischen dem Reden Gottes und der bloßen Schriftform, und auch wenn die meisten Christen den Unterschied zwischen γραφη und γράμμα nicht herleiten könnten, weil die meisten Bibelübersetzungen diese Differenzierung nicht sauber wiedergeben, scheint es zumindest doch ein vages Wissen um diesen Unterschied zu geben. Anders als der Quran erhält die Bibel in der Regel eben keine »Sonderbehandlung«, sondern ihre physische Erscheinungsform wird ohne jede mystische Aufladung behandelt wie andere Bücher auch. Zwar wird ein kleiner Teil des Respekts, der dem Reden Gottes entgegengebracht wird, auch auf das Buch abstrahlen und Vorfälle wie die Bibelverbrennung in Afghanistan mag man bedauerlich finden, sie werden aber nie Anlaß sein, Menschen zu ermorden, die man damit in Zusammenhang bringt, stattdessen druckt man lieber neue Bibeln: Heilig ist nur die γραφη, nicht aber die γράμμα, und Diener sind wir nicht der Schift, sondern dessen, der das Geschriebene gegeben hat.