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Papst distanziert sich erneut in aller Deutlichkeit vom Katholizismus


By Geier - Posted on 25 September 2011

25. / ergänzt 26. September 2011

Ich wollte das gar nicht! Er hat mich provoziert! Ja, schon wieder! Wirklich! Ich hatte ganz bestimmt nicht vor, den Deutschlandbesuch eines römischen Gurus mit einer Geiernotiz aufzuwerten. Es ist schließlich auch gar nicht zu leisten, hier jeden Touristen persönlich mit ein paar Zeilen zu begrüßen. Ich hätte nichts gesagt. Ich wäre einfach höflich schweigend und mir mein Teil denkend darüber hinweggegangen. Aber er hat es mal wieder übertrieben. Aber sowas von übertrieben!

Da sind also die evangelischen Kirchenfürsten, die schon um ihrer Pensionen willen nichts davon wissen wollen, daß geistliche Einheit nicht aus der Annäherung von Sekten[G], sondern nur aus deren Überwindung erwächst, extra angetreten, um dem Obersten aller Katholiken Reverenz zu erweisen in der Hoffnung, daß er dafür ein kleines bißchen evangelischer würde — und was antwortet er ihnen? Die Erwartung, er könne ihnen entgegenkommen, gründe nur auf einem Mißverständnis:

»Der Glaube der Christen beruht nicht auf einer Abwägung unserer Vor- und Nachteile. Ein selbstgemachter Glaube ist wertlos. Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken und aushandeln.«

Und da ist mir der Kragen geplatzt. Nicht, daß er damit nicht recht hätte. Außerordentlich recht sogar. Aber ausgerechnet von demjenigen, der Chef einer Sekte ist, in der das Selberbasteln des Glaubens seit Jahrhunderten nicht nur die größte Selbstverständlichkeit, sondern geradezu das bestimmende Charakteristikum ist, wollten wir das nun wirklich nicht hören. Es stellt sich überdies bei solcher Katholizismusschelte des Papstes die Frage, wie katholisch dieser eigentlich überhaupt noch ist. Das Ausdenken und Aushandeln des eigenen Glaubens gehört ja nicht nur so irgendwie zur katholischen Praxis, es ist als unverrückbarer katholischer Grundsatz in der Formel »Offenbarung plus Überlieferung (Tradition)« ausdrücklich festgeschrieben. Richtig ist dieser Formel zufolge also nicht nur, was in Gottes Wort offenbart wurde, sondern auch, was sich in den letzten Jahrhunderten an Menschensatzungen und sonstigem theologischen Gerümpel in den vatikanischen Schatzkammern angesammelt hat. Das »unfehlbare Lehramt« der Katholischen Kirche ist ständig damit beschäftigt, aus einer Mixtur von göttlicher Offenbarung und Menschensatzungen durch »ausdenken und aushandeln«, wie der Papst so außerordentlich treffend gesagt hat, die jeweils gültigen katholischen »Wahrheiten« zu kondensieren. Da finden sich dann so Geschichtchen wie die »leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel« (Mariä Himmelfahrt), irgendwann in der Antike ausgedacht und nach langem Aushandeln zwischen inoffizieller Volksfrömmigkeit und offizieller katholischer Klerikaltheologie im Jahre 1950 (sic!) endlich als Dogma verkündet, was bedeutet, daß heutige Katholiken unter Androhung von Excommunikation und allen möglichen Höllenstrafen verpflichtet sind, daran zu glauben. Ausdenken und aushandeln — der »selbstgemachte Glaube«, den der »Pontifex Maximus« hier als wertlos bezeichnet: Das ist der Katholizismus schlechthin. Nebenbeibemerkt: Schon der päpstliche Titel »Pontifex« bezeugt, wie sehr der Katholizismus von Anbeginn seine Glaubensinhalte mit der heidnischen Umwelt ausgehandelt hat. Ursprünglich ist der Pontifex Maximus der oberste Priester der heidnischen römischen Götterwelt und Aufseher der Vestalinnen gewesen; zusammen mit vielen heidnischen Festen und Gebräuchen hat die katholische Kirche auch diesen Titel aufgesaugt und integriert, immer von dem Bestreben geleitet, durch eine möglichst weitgehende Anpassung an das Heidentum für eine große Zahl von Römern attraktiv zu werden und so die eigene Machtbasis zu verbreitern. Die biblische Offenbarung ist im Katholizismus ein Steinbruch, aus dem man sich ebenso das passend Erscheinende herausbricht wie aus allen möglichen heidnischen Überlieferungen.

Und solch selbstgemachter Glaube erscheint dem Papst jetzt plötzlich als wertlos? Ich glaube schon langsam gar nicht mehr an einen einmaligen Ausrutscher: Schon vor über zweieinhalb Jahren, in der zweiten aller Geiernotizen, hatte ich die antikatholische Propaganda dieses Papstes kommentiert. Damals hatte er typisch katholischens Verhalten immerhin nur als »Torheit« bezeichnet. Mit dem Verdikt »wertlos« geht er diesmal noch darüber hinaus.

Vor dem Bundestag hat er freilich vieles Vernünftige gesagt, seine Feststellung, daß eine bestehende Rechtsordnung dem Gesetz der Wahrheit entgegenstehen kann, daß geltendes Recht also Unrecht sein kann und deshalb bekämpft werden darf, ist höchst bemerkenswert und verweist implicit — auch wenn dies nicht direkt gesagt wurde — auf Artikel 20, Abs. 4 des Grundgesetzes. Mal sehen, ob die deutschen Katholiken dies so interpretieren, daß dieser Zustand gesetzeskonformen Unrechts bereits besteht und sich nächste Woche mit Forken und Mistgabeln bewaffnet vor dem Kanzleramt zusammenrotten.

Ansonsten hat er aber auch einmal mehr unmißverständlich herausgestellt, daß die Vatikanische Kirche keine geistliche Instanz ist, sondern »ein Reich dieser Welt«:

»Die Einladung zu dieser Rede gilt mir als Papst, als Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit trägt. Sie anerkennen damit die Rolle, die dem Heiligen Stuhl als Partner innerhalb der Völker- und Staatengemeinschaft zukommt.«

Geradezu pantheistisch ist seine Bemerkung, daß »die Erde selbst ihre Würde in sich trägt und wir ihrer Weisung folgen müssen«, die in direktem Widerspruch zu Gottes Gebot steht, daß wir uns die Erde untertan machen sollen — so viel zum Thema »selbstgemachter Glaube«. Aber eigentlich wollte ich dazu ja gar nichts schreiben. Nicht schon wieder. Aber er hat mich provoziert.

 

 

 

 

 

 

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