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Verlorene Söhne, verlorene Töchter


By Geier - Posted on 24 November 2010

24. November 2010

 

Nahezu jeder kennt es: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk. 15, 11ff) gehört zu den populärsten Textteilen der Bibel, selbst den meisten Nichtchristen zumindest vom Hörensagen her bekannt. Zurecht steht bei der Deutung dieses Gleichnisses die Aussage im Vordergrund, daß Jahweh auf die Rückkehr eines jeden Menschen ebenso wartet, wie ein Vater auf die Rückkehr eines Sohnes, der ihn verlassen hat. Nun hat ein jedes Gleichnis aber mehrere Deutungsebenen und ich möchte mich dem Text heute von einer anderen Richtung her nähern.

Die Redefigur des Gleichnisses benutzt einen konkreten Sachverhalt aus der Lebenswirklichkeit der Zuhörer, um einen anderen Sachverhalt begreiflich zu machen, der dem Verständnis des Hörers sonst zu abgelegen wäre: Jesus erklärt das Unsichtbare, indem er es mit dem Sichtbaren vergleicht. Voraussetzung für das »funktionieren« dieses Prinzips ist es aber, daß der Zuhörer auch mit den Bezugspunkten des Vergleichs vertraut ist: Gleichnisse von Schafen, verlorenen Münzen, Bauvorhaben oder untreuen Verwaltern kann eben nur deuten, wer Schafe, Münzen, Korruption usw. auch tatsächlich kennt.

Und hier sehe ich in Bezug auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn ein seltsames Mißverhältnis: Der gleichnishafte Bezug scheint heute vielen vertrauter zu sein als die irdische Vergleichsbasis. Viele junge Leute sind in christlichen Versammlungen herangewachsen, die zwar die Deutung des Gleichnisses verinnerlicht und verstanden haben, daß der natürliche Mensch von Gott entfremdet ist und sich auf den Rückweg zu ihm machen muß, aber gleichzeitig, wenn es nicht um ihr Verhältnis zu Jahweh, sondern um das zu ihrem irdischen Vater geht, sind sie mit allerbestem Gewissen und wenig Überlegung in der Gegenrichtung unterwegs. Ziemlich gedankenlos werden hier allzuoft die Verhaltensmuster aus der Welt kopiert, wo Menschen, die vor Gott weggelaufen sind, in gleicher Weise auch zur Unzeit den Einfluß ihres Vaters fliehen. Begründungen dafür finden sich immer. So stellt die Schrift nüchtern fest, daß unsere Väter uns »nach ihrem Gutdünken« erziehen und züchtigen (Hebr. 12, 9ff), also in Unvollkommenheit, bestätigt aber trotzdem gleichzeitig die Legitimität dieser Erziehung, feststellend, daß jegliche Züchtigung — also sowohl die unvollkommene der Väter als auch die vollkommene Gottes — demjenigen die friedsame Frucht der Gerechtigkeit gibt, der sich ihr aussetzt und durch sie geübt wird. Im Widerspruch zum Urteil der Schrift scheint aber vielen die Unvollkommenheit väterlicher Züchtigung ein legitimer Grund zu sein, sich dieser schnellstmöglich zu entziehen, denn jegliche Grenzsetzung erscheint uns zunächst als Einengung, draußen aber lockt die Freiheit.

Ausreichender Anlaß für diese Flucht scheint für viele das Erreichen einer Altersgrenze zu sein, welche die weltliche Rechtsordnung als »Volljährigkeit« bezeichnet, deren Definition aber völlig willkürlich ist und keinerlei geistliche Relevanz hat. Denn zunächst sagt das Alter — unabhängig davon, ob man die »Volljährigkeit« nun beim Alter von 18 oder von 21 Jahren fixieren wollte — nichts über den persönlichen Grad erlangter Reife aus, auch nichts über die persönliche Führung Gottes, die nicht an starren Altersgrenzen festzumachen ist. Im übrigen findet hier der selbe Konflikt zwischen staatlicher und geistlicher Rechtsetzung statt, der auch im Gleichnis bezeichnet ist: Das vorgezogene Erbe, das der jüngere Sohn hier verlangte, scheint im Einklang mit der weltlichen Rechtsnorm gestanden zu haben. Trotzdem hat in Bezug auf die geistlichen Ordnungen eindeutig eine schwere Verirrung vorgelegen. Genauso berufen sich heute viele Jugendliche auf die weltliche Rechtsordnung, wenn sie meinen, mit dem Erreichen der Volljährigkeitsgrenze ihre eigenen Wege gehen zu dürfen. Die staatliche Ordnung erlaubt ihnen dies zwar, doch hat das überhaupt nichts damit zu tun, ob hier nicht eine geistliche Verfehlung vorliegt — und Rebellion ist keine unbedeutende geistliche Verfehlung, sondern der Zauberei gleichgestellt (1. Sam. 15, 23). Wiewohl die staatliche Ordnung Abtreibung, Ehbruch und alle möglichen denkbaren Perversionen erlaubt, wird kaum ein Christ auf die Idee kommen, zu behaupten, daß man sich diesen Dingen hingeben könne, ohne schwerste Schuld Gott gegenüber auf sich zu laden. In Bezug auf die Konsequenzen der Volljährigkeit wird aber oft so getan, als würde Gehorsam der weltlichen Obrigkeit gegenüber bedeuten, auch all den Unrat mitzunehmen, den die Gesellschaft uns gestattet. Gottes Maßstäbe in dieser Angelegenheit sind aber, wie in vielen Fragen, grundverschieden von denen der säkularen Autoritäten. Wer also wie im Gleichnis meint, er sei seinem Vater keine Rechenschaft mehr schuldig, nur weil sein Geburtstag sich zum achtzehnten Mal gejährt hat, muß sich fragen lassen, in welchem Rechtssystem er zu Hause ist — den unverrückbaren göttlichen Satzungen der Bibel oder dem System der Menschensatzungen, das ständigen Veränderungen unterworfen sind.

In der Regel ist der legitime Zeitpunkt für einen Sohn, sich vom Haus seines Vaters »abzunabeln«, wenn er ein eigenes Haus[G] begründet, also wenn er heiratet (1. Mose 2, 24; Mt. 19, 5; Eph. 5, 31). Für eine Tochter ist dieser Zeitpunkt gekommen, wenn sie geheiratet und damit aus der Obhut ihres Vaters in die ihres Mannes übergeben wird (Ps. 45, 11f). Bevor ein Mann ein Haus gründet, sollte er freilich in wirtschaftlicher Hinsicht in der Lage sein, ein Haus zu führen (Spr. 24, 27), was darauf schließen läßt, daß sein Abschied vom Haus des Vaters schrittweise erfolgen kann und nicht zwingend per Stichtag zur Hochzeit. So mag es zum Beispiel Notwendigkeiten der Berufsausbildung geben, die ein Leben in der Ferne erfordern, auch wenn dies die Verantwortlichkeit gegenüber dem Vaterhaus nicht aufhebt, da solches Fernsein nicht als Gründung eines Hauses im biblischen Sinne gelten kann, bestenfalls als Vorbereitung einer solchen. Auch ist zu bedenken, daß selbst eine Heirat mit dem mehr oder weniger bewußten Motiv der Flucht vor elterlicher Autorität initiiert werden kann, was wiederum für diese Ehe eine sehr ungünstige Voraussetzung ist: Wer elterliche Autorität flieht, wird wenig geneigt sein, sich auf die ungleich größere Verbindlichkeit einer ehelichen Struktur einzulassen.

Für Mädchen ist das unzeitige Verlassen des Elternhauses noch problematischer, da sie ja grundsätzlich selbst kein Haus begründen können. Die Schrift kennt ihre Einordnung als Tochter oder gegebenenfalls als Waise, als Ehefrau oder als Witwe*. Witwen und Waisen sind der besonderen Fürsorge der Herausgerufenen[G] anbefohlen (Jk. 1, 27), Töchter und Ehefrauen der Obhut des Vaters bzw. Mannes zugeordnet. Gänzlich hauptlos sind nur die Huren, die keinem Haus zugeordnet werden können (Spr. 7, 11) und daher für sich selbst verantwortlich sind. Dieses Auf-sich-selbst-geworfen-sein ist als ein Gericht Gottes anzusehen, als ein Dahingegebensein, und dies sollte vielen zu denken geben, die sich aus ihrer Situation heraus nichts sehnlicher wünschen als eigenverantwortlich agieren zu können. Ausnahmen, die das Verlassen des Hauses rechtfertigen — inzestuöse Verhältnisse zum Beispiel — gibt es zwar, hier wäre dann die Tochter der Waise gleichgestellt, da der Vater wie ein (geistlich) Toter anzusehen wäre. Viele Töchter aber, die ohne belastbare Gründe das Haus fliehen, dem sie zugeordnet sind, behandeln dadurch ihren Vater wie einen Toten, obwohl die geistliche Rechtsgrundlage hierfür völlig fehlt.

Trotz aller triftigen Gründe, die dagegensprechen: Viele Jugendliche verlassen heute nicht aus einem Sachzwang heraus ihr Elternhaus zur Unzeit, sondern aus purem Selbsterfahrungstrieb. Das aber deckt sich durchaus mit der Motivation des Verlorenen Sohnes. Auch wenn die meisten sicherlich nicht wie dieser in Asozialität abgleiten und in gleicher spektakulärer Weise scheitern werden: eine falsche Weichenstellung für den Start ins Erwachsenenleben ist das allemal.

 

 

 

*Den Sonderfall der Geschiedenen lassen wir hier beiseite, da dies das Thema überdehnen würde.

 

 

 

 

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