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Festgefahren mit Pferd und Wagen
29. Januar 2010
Zu den Voraussetzungen eines christosgemäßen Lebens gehört ein Ausziehen aus den Wertesystemen dieser gefallenen Welt und ein Abstand zu deren Gepflogenheiten. In einer Zeit, in der die meisten »christlichen« Glaubensgemeinschaften dies ignorieren und damit beschäftigt sind, dem Zeitgeist hinterherzuhecheln, bestrebt sind, immer stromlinienförmiger zu werden, um nur ja nirgends anzuecken und sich in einem völlig falsch verstandenen Missionseifer Schritt für Schritt ihrer Umgebung anpassen um für Außenstehende »attraktiver« zu werden, üben Gemeinschaften, die sich solcher Anpassung verweigern, eine große Faszination aus. Geradezu romantische Verklärung erfahren zum Beispiel die Old Order Amish, die durch ihre auffällig andersartige Lebensweise eine bemerkenswerte Sonderstellung einnehmen: Sie leben von Handwerk und Landwirtschaft, lehnen Kraftfahrzeuge, moderne Maschinen und Telekommunikationsmittel weitgehend ab, teilweise gar Elektrizität. Da die Gemeindestruktur fast völlig identisch ist mit der Sozialstruktur, ist die Kriminalität in amischen Gemeinwesen äußerst gering. Was anderen christlichen Gemeinschaften nahezu vollständig fehlt, wird hier sichtbar: Ein vitaler Gegenentwurf zur Lebensweise der Umgebung. Ländliche Romantik ist aber ein schlechter geistlicher Ratgeber. Wie sieht es nun aus, wenn wir die spektakulären Besonderheiten amischer Lebensweise beiseitelassen, hinter das Offensichtliche sehen und die geistliche Substanz betrachten?
Es bleiben zunächst immer noch einige Pluspunkte übrig: Die Ablehnung von Sakralgebäuden und professionellem Klerikalismus, eine vorbildliche gegenseitige soziale Fürsorge, eine beispielgebende Integration der Kinder in die Arbeitswelt, die Orientierung am biblischen Familienmodell, der Mut, sich von der mode- und konsumorientierten Umgebung abzugrenzen zum Beispiel.
Taugen die Amisch aber deshalb schon als Modell christlicher Gemeinschaft, das man in diesen »wilden Fristen« (2. Tim. 3, 1) zum Vorbild nehmen könnte? Hier ist zunächst festzustellen, daß auch die Amisch eine ganz gewöhnliche Denomination[G] sind. Der Name »Amisch« geht auf Jakob Amman zurück; Amische sind also dem Amman zugerechnete, damit muß schon einmal ein klarer Verstoß gegen das Denominationsverbot aus dem ersten Korintherbrief festgestellt werden. Wo aber Denominationen sind, können Menschensatzungen nicht weit sein. Und tatsächlich: Viele der auf den ersten Blick sympathischen Besonderheiten der Amisch erweisen sich bei näherem Hinsehen als ein gnadenloses Korsett menschlicher Regeln, die mit einer Härte durchgesetzt werden, als wären es Gottes Gebote. Wenn ein Landwirt für sich und sein Haus beschließt, auf ein Automobil zu verzichten und stattdessen Pferde und Wagen zu nutzen, ist das sicherlich eine respectable Entscheidung und er wird seine Gründe dafür haben. Wenn aber eine Gemeinde beschließt, daß alle mit Pferdewagen unterwegs zu sein haben und auch noch die Farbe vorgibt, in der die Wagen zu lackieren seien, dann ist dies ein unzulässiger, höchst anmaßender Eingriff in die Autonomie der einzelnen Haushaltungen. Jeder Mann ist für die praktischen Entscheidungen, die sein Haus betreffen, selbst verantwortlich, und ein Eingriff von außen in diese Regelungshoheit ist gemäß 1. Petr. 4, 15 ein schweres Vergehen, das zurecht in einer Reihe mit Mord und Diebstahl genannt wird. Da es bei den Amisch aber auch gemeinschaftliche Regelungen (z. B. in Kleidungsfragen) gibt, welche die Frauen betreffen, die Bischöfe also mittels dieser Satzungen den Frauen anderer Männer über deren Kopf hinweg Vorschriften machen, liegt strenggenommen auch Ehebruch vor: Die Hauptschaft des jeweils für sein Haus[G] verantwortlichen Mannes wird dadurch von den Bischöfen untergraben, und hoheitliche Aufgaben, die Gott dem strikten Schutzraum der Ehe unterworfen hat, werden von Außenstehenden wahrgenommen. Dies sind schwerste Verfehlungen, zumal solche Menschensatzungen mit der Androhung ewiger Verdammnis bei Nichtbeachtung durchgesetzt werden.
Hier tut sich nun eine Gemeinsamkeit mit dem Katholizismus auf, der ja auch seit Augustinus jeden, der sich den absonderlichen katholischen Sonderlehren widersetzt, mit Verdammnisdrohungen einschüchtert, und leider ist dies nicht die einzige Parallele. Denn auch der Zugang zum Wort Gottes ist stark eingeschränkt: So sind nur alte deutsche Bibeln zugelassen, die der Sprache des siebzehnten Jahrhunderts entsprechen. Die heutigen Amisch sprechen aber mit »Pennsylvania Deitsch« eine Sprache, die mit dem alten Bibeldeutsch nicht übereinstimmt, auch sprechen sie Englisch, englische Bibeln aber lassen die amischen Bischöfe nicht zu. Das heißt, daß die meisten Amischen nicht oder nur ungenügend in der Lage sind, anhand eigenen Forschens in der Schrift die Lehren zu überprüfen, die ihnen vorgesetzt werden. So speist sich die Macht der amischen Bischöfe letztlich aus der selben Quelle wie die des katholischen Klerus: aus der mangelnden Schriftkenntnis des »gemeinen Volkes«. Dies ist um so tragischer, als die amischen Glaubensväter Verfolgung gelitten haben und endlich aus Europa nach Pennsylvania ausgewandert sind, um eben dieser Art von Kirchlichkeit zu entgehen. Die heutigen Amisch scheinen aber die Kraft, die ihre Vorväter in die Verteidigung biblischer Wahrheiten investiert haben, für die Verteidigung kultureller Besonderheiten aufzubrauchen. So sind letztlich auch die Amisch lebender Beweis des geistlichen Gesetzes, daß menschliche Traditionen überall dort, wo man ihnen Raum gibt, das Wort Gottes unwirksam machen.
Die folgende BBC-Dokumentation (in englischer Sprache) erzählt die in vieler Hinsicht bemerkenswerte Geschichte von zwei Familien, die aus der Gemeinschaft der Old Order Amisch ausgeschlossen wurden, weil sie Gebetstreffen außerhalb der Gemeinschaft besucht und englische Bibeln gelesen haben. Die Tragik der Geschichte besteht unter anderem darin, daß die Ausgeschlossenen, nachdem sie von Gott aus einer Denomination heraus freigesetzt wurden, schon wieder über ihren Anschluß an die nächste Denomination nachdenken: