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Äpfel? Birnen? Sozialismen.
15. September 2011
Edvins Šnore
DVD, 86 Minuten
deutsche Ausgabe: Kopp Media
€ 19,95
Mir ist ja immer wieder suspekt, wenn behauptet wird, man könne Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Warum auch nicht? Äpfel und Birnen haben Gemeinsamkeiten und Unterschiede; Sinn eines Vergleichs ist es, die einen wie die anderen herauszuarbeiten und darzustellen. Richtig grantig können einige Zeitgenossen werden, wenn man Sozialismen miteinander vergleicht — die nationale und die internationalistische Spielart zum Beispiel.
Der Film »Sowjet-Story« des lettischen Regisseurs Edvins Šnore erzählt die Geschichte des sowjetischen Terrors und stellt dabei sowohl die Ähnlichkeiten mit dem National-Sozialismus in Deutschland als auch die außerordentlich enge Zusammenarbeit der beiden Regime bis 1941 heraus.
Als einigermaßen bekannt kann inzwischen der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 einschließlich des Zusatzprotokolls zur Aufteilung Osteuropas zwischen der Sowjetunion und Deutschland vorausgesetzt werden. Aber wer weiß, daß die Aufrüstung Deutschlands ohne die sowjetischen Lieferungen an Rohstoffen undenkbar gewesen wäre? Wer hat von der intensiven logistischen Hilfe gehört, welche die Sowjetunion Deutschland bei der Eroberung Norwegens geleistet hat? Wem ist bekannt, daß der sowjetische NKWD, der Vorläufer des KGB, Gestapo-Delegationen in Errichtung und Betrieb von Konzentrationslagern schulte, da die Sowjetunion hier schon auf einige Jahrzehnte Erfahrung zurückgreifen konnte? Daß die Sowjetunion die deutschen Konzentrationslager nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszone weiterbetrieb, ist bekannt, aber wer weiß schon, daß bis 1941 Tausende Juden, die aus Deutschland in die Sowjetunion geflohen waren, aufgrund schriftlicher Verträge vom NKWD an die Gestapo übergeben wurden, ja, daß die Freundschaft der Diktaturen sogar so weit reichte, daß die kommunistische Sowjetunion selbst Kommunisten an Deutschland auslieferte? Wer weiß, daß die Sowjetunion als beherrschende Kraft der Komintern die kommunistischen Parteien westeuropäischer Länder, die von Deutschland besetzt waren, zur Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten verpflichtete?
Bis zum Sommer 1941 leistete die Sowjetunion dem Land von Marx und Engels umfangreiche materielle, logistische und ideologische Unterstützung. Wie konnte das sein? Zunächst waren Hitler und Stalin eher Konkurrenten als Gegner. Tatsächlich waren die ideologischen Wurzeln teilweise identisch. 1924 berichtet die New York Times, daß Goebbels in einer Rede die Geringfügigkeit der Unterschiede zwischen Kommunismus und der Weltanschauung Hitlers herausgestellt und behauptet habe, daß Lenin an Größe nur von Hitler übertroffen werde. Später wurden diese Gemeinsamkeiten aus taktischen Gründen nicht mehr betont, aber noch 1934 gab die NSDAP zum Tag der Arbeit eine Medaille mit Hakenkreuz, Hammer und Sichel heraus. Beide Sozialismen wollten den »Neuen Menschen« hervorbringen. Freilich wollte man dies in der Sowjetunion durch Ausrottung bestimmter sozialer Klassen erreichen, während in Deutschland nicht die Klassen-, sondern die Rassenfrage betont wurde.
An Grausamkeit nahmen sich die beiden Diktaturen hingegen nichts. Regionale Sowjets hatten »Feinde des Sozialismus« nach festgesetzten Quoten zu erschießen, die zentral festgesetzt wurden. Persönliche Schuld spielte dabei keine Rolle, die Quote mußte erfüllt werden wie ein Wirtschaftsplan. Der Film setzt auch den etwa sieben Millionen Ukrainern ein Denkmal, die im Winter 1932/33 durch zielgerichtete Beschlagnahme sämtlicher Lebensmittel dem Hungertod überlassen wurden. Die westlichen Demokratien haben dies nicht nur weitgehend ignoriert, sie haben auch das beschlagnahmte ukrainische Getreide aufgekauft. Auf etwa zwanzig Millionen werden die Opfer des leninschen und stalinschen Terrors dieser Jahrzehnte geschätzt — ohne daß dieser Völkermord im öffentlichen Bewußtsein sonderlich verankert wäre. Und auch wenn man Opferzahlen nicht aufrechnen kann: Vergleichen, zumindest zur Kenntnis nehmen, kann und muß man sie doch.
Daß die Sowjetunion jahrzehntelang einer öffentlichen Aufarbeitung ausweichen konnte, ist allein der Tatsache geschuldet, daß sie sich bei Kriegsende bei den Alliierten auf der Siegerseite wiedergefunden hat. So war das Interesse des Westens sehr verhalten, Verbrechen des alliierten Partners zu publizieren, die man selbst geduldet hatte.
Der Film wird in Deutschland ohne Altersbeschränkung gehandelt; dies mag juristisch (Info-Programm gemäß § 14 Jugendschutzgesetz) korrekt sein, sachlich ist es wegen der teilweise deutlichen Darstellungen von Grausamkeiten eher unangebracht.
Hier der englische Trailer (der Film auf der DVD ist aber deutsch synchronisiert):
Siehe zum Thema auch: Stephane Courtois et al., »Das Schwarzbuch des Kommunismus«