Sie befinden sich hierEuropäische Konterintrige

Europäische Konterintrige


By Geier - Posted on 04 Oktober 2009

4. Oktober 2009

Die Iren scheinen, wenn das endgültige Zählergebnis nicht noch dramatisch von den bisherigen Hochrechnungen abweicht, »Ja« zum Vertrag von Lissabon gesagt zu haben. Auch wenn dies am Montag sicherlich von führenden Europapolitikern als demokratisches Votum für die fortschreitende europäische Integration gefeiert werden wird, hat das Zustandekommen doch einen recht seltsamen Beigeschmack.

Wir erinnern uns: Eigentlich ging es um eine europäische Verfassung, diese ist aber 2005 an Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Andere Völker durften erst gar nicht über diese Verfassung abstimmen. Flugs wurden die wesentlichen Inhalte des Verfassungsvertrages in den Vertrag von Lissabon transferiert, der nun zwar nicht mehr Verfassung heißt — was die Möglichkeit eröffnet, ihn viel unspektakulärer und ohne Volksabstimmungen durch die nationalen Parlamente zu schleusen — aber im wesentlichen die selben Souveränitätsbeschränkungen für die Nationalstaaten mit sich bringt wie die ursprüngliche Verfassung. Dieser Vertrag kann nur in Kraft treten, wenn er von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert wird; allerdings schreibt die irische Verfassung auch hierfür eine Volksabstimmung vor, an der der Vertrag von Lissabon 2008 prompt scheiterte. Dieses Votum wurde freilich nicht hingenommen, sondern man bot den Iren einige Ausnahmeregelungen an und ließ sie noch einmal abstimmen — Skeptiker sagen, daß man, wenn die Iren wieder nein gesagt hätten, sie halt so oft hätte abstimmen lassen, bis sie endlich mit ja gestimmt hätten.

Kritiker des Vertrages von Lissabon sehen nun hoffnungsvoll nach Prag: Dort sitzt der euroskeptische Präsident Václav Klaus, der sich weigert, das Ratifizierungsdokument zu unterschreiben, solange noch die Verfassungsklage einiger Abgeordneter dagegen anhängig ist. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, könnte es Klaus gelingen, seine Unterschrift noch bis Mai oder Juni nächsten Jahres hinauszuzögern. Dann aber sind Parlamentswahlen in Großbritannien, und die Konservativen rechnen fest damit, das Unterhaus zu übernehmen. Der derzeitige Oppositionschef Cameron beabsichtigt in diesem Fall, die Zustimmung des Parlaments für den Lissabon-Vertrag, die bereits vorliegt, zu kassieren und eine Volksabstimmung abzuhalten. Daß diese in Großbritannien mit einem klaren »Nein« ausgehen würde, gilt als ausgemacht. Der Vertrag könnte dann nicht in Kraft treten; auch das irische Ja wäre damit wertlos.

Cameron jedenfalls soll Klaus in einem Brief vorgeschlagen haben, gemeinsam ebenso vorzugehen, und die »Süddeutsche« nennt diesen Brief prompt »teuflisch«. Sicher wird bald der eine oder andere Europolitiker anstehen, Cameron und Klaus politische Intriganz vorzuwerfen; verglichen mit den Intrigen derer, welche die Europäische Verfassung an den Völkern Europas vorbei in Kraft setzen wollen, sind Cameron und Klaus freilich harmlose Waisenknaben.

 

 

 


Photo: © Geier

 

 

Free Tagging (Freies Zuweisen von Kategorien)

Rückblick 1. Lesertreffen

Beliebte Inhalte



CAPTCHA
Diese Frage hat den Zweck, zu testen, ob man ein menschlicher Benutzer ist und um automatisiertem Spam vorzubeugen.
Bild-CAPTCHA
Bitte die im Bild dargestellten Buchstaben (ohne Leerzeichen) eingeben.

Geierpost buchen

Inhalt abgleichen